Nordirland: "Es gibt Leute, die keinen Frieden wollen"

Nordirland gibt immer noch
Nordirland gibt immer noch(c) AP (STF)
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14 Jahre nach dem Karfreitagsabkommen gehört Gewalt noch immer zum nordirischen Alltag.

Belfast/London. Michael Doherty ist Katholik, Brian Dougherty ist Protestant. Die beiden Nordiren sind gute Freunde und damit ein Beispiel für gelebte Versöhnung. Wir fragten die beiden zuerst, ob sie eine Ausnahme darstellen oder ob eine solche Freundschaft heute die Regel ist:

Michael: Eine Ausnahme sind wir vielleicht wegen unserer Versöhnungsarbeit, aber nicht wegen unserer Freundschaft.

Brian: Ich glaube, das ist eine Frage der Generation. Ich wurde 1968 geboren, als die „Troubles“ gerade anfingen. Ich kannte überhaupt keine Katholiken, bis ich zur Universität ging. Aber wenn ich mir die jüngere Generation anschaue, pflegt die einen viel natürlicheren Umgang miteinander.

Die Presse: Trotzdem gibt es 14 Jahre nach dem Karfreitags-Abkommen jede Menge Gewalt: Republikanische Terroristen verüben weiter Anschläge, protestantische „Loyalisten“ randalieren seit Tagen wegen der Frage, wie oft der Union Jack in Belfast gehisst werden darf. Ist der Friedensprozess gescheitert?

Michael: Nein. Aber sobald es ein umstrittenes Thema gibt nehmen manche Leute das zum Anlass, um zur Gewalt zurückzukehren, wenn auch nicht in dem Maß wie früher. Klar ist: Es gibt immer noch Leute, die den Frieden einfach nicht wollen.
Brian: Die übergroße Mehrheit steht voll hinter dem Friedensprozess. Die Mehrheit der Demonstranten sind gefährdete Jugendliche, die man leicht manipulieren kann. Manche Leute sind einfach desillusioniert, vor allem wegen geringer Bildungschancen, hoher Arbeitslosigkeit und schlechter Lebensqualität.

In Ihrer Heimatstadt können sich die Leute noch nicht einmal auf den Ortsnamen einigen – Katholiken sagen Derry, Protestanten Londonderry.

Michael: Viele Jahre wurde die Stadt von Unionisten regiert, die die Verbindung mit Großbritannien betonen wollten und ein „London“ vor „Derry“ hängten. Dann übernahmen die Nationalisten die Mehrheit im Stadtrat und änderten den Namen der Stadtverwaltung in „Derry City Council“. Offiziell heißt die Stadt weiter Londonderry. Aber nur die Politiker versuchen noch, das zu instrumentalisieren, die meisten Leute sprechen von Derry.

Derry war Schauplatz eines der schlimmsten Gewaltausbrüche des Konflikts: des Bloody Sunday am 30. Jänner 1972, als 14 unbewaffnete Demonstranten von der britischen Armee erschossen wurden. 2010 hat sich Premier Cameron dafür förmlich entschuldigt. Hat das geholfen, alte Wunden zu heilen?

Brian: Das war ein historischer Wendepunkt. Als Kind bekam ich erzählt, dass der Bloody Sunday völlig gerechtfertigt gewesen sei, weil es eine illegale Demonstration gegeben habe. Erst als meine Generation anfing, die Fakten zu studieren, wurde uns klar, dass das Vorgehen der Armee nicht zu rechtfertigen war. Als dann der Untersuchungsbericht über die wahren Vorkommnisse veröffentlicht wurde, empfanden alle in der Stadt, sogar die überzeugtesten Loyalisten, ein Gefühl von Gerechtigkeit.

Die Zahl der Protestanten in Nordirland schrumpft. Wird es die Provinz zum 100. Jahrestag der Abspaltung von der Republik Irland denn noch geben?

Brian: Ich habe keine Zweifel, dass die Union dann noch existieren wird. Eine Schlüsselerkenntnis aus der letzten Volkszählung war, dass sich nur 24 Prozent der Menschen hier als rein irisch sehen. Würde heute abgestimmt, gäbe es wohl kaum eine Mehrheit für eine Vereinigung mit der Republik Irland.
Michael: Dem kann ich nicht zustimmen. Ich komme aus einer traditionellen republikanischen Familie, natürlich will ich ein vereinigtes Irland. Aber ich bin bereit, für einen Konsens zu arbeiten. Ich will die Leute entwaffnen – auch in ihren Köpfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2012)

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