Expertin: "China will nicht so zahnlos wie die Europäer werden"

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Laut China-Expertin Weigelin-Schwierdzik dienen Chinas Kriegsdrohungen in Asien der Legitimation einer zunehmend schwächelnden KP. Die Dynamik könnte außer Kontrolle geraten.

Die Presse: China entwickelt sich zur Weltmacht. Was sind die Folgen?

Susanne Weigelin-Schwiedrzik: Eine Großmacht China stört das von den USA dominierte internationale System. Es ist zu erwarten, dass sich Konflikte entwickeln – zwischen China und den USA, aber auch zwischen China und den Nachbarn sowie zwischen den Allianzen, die sich aufgrund der neuen Konstellation bilden. Diese Entwicklung ist neu: Erst seit dem 21. Jahrhundert denken die Chinesen über eine führende internationale Rolle nach. Inzwischen ist China in der Welt immer präsenter: Da ihre eigenen Ressourcen nicht mehr ausreichen, um die Industrialisierung auf eine höhere Stufe zu bringen, sind sie zunehmend in Nahost, Afrika, Lateinamerika aktiv.

Welche internationale Rolle will das KP-Regime einnehmen?

China ist bereit, als „internationaler Player“ aufzutreten. Wobei der KP-Mainstream für China eine Rolle als „Moderator“ vorgesehen hat. Deshalb betont die Partei ihr Bedürfnis nach „harmonischer Entwicklung“ und beruft sich auf den Konfuzianismus. China hat enge Beziehungen zu den Staaten der Dritten Welt – und diese Beziehungen, etwa zum Iran, bieten sie an, um in Krisen zu vermitteln. Auch mit Nordkorea haben sie das versucht, aber mit wenig Erfolg.

Aber China provoziert zunehmend seine Nachbarn. Da ist keine Spur einer „moderaten“ Vermittlerrolle.

In ihrer eigenen Region sind die Chinesen tough. In diesem Raum passiert derzeit viel, wir im Westen schauen da viel zu wenig hin: Es ist eine sehr gefährlichen Situation. So haben die Chinesen ihre eigene multilaterale Organisation, die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, aufgebaut. Man sagt immer, die sei unwichtig – das ist ein Irrtum: Die Chinesen nützen diese Plattform, um mit den Russen die Machtverhältnisse in der Region neu aufzuteilen und die USA zu verdrängen. Eine Doktorandin von mir vertritt die These, dass China eine Weltmacht mit regionaler Machtbasis ist. Eine Machtbasis, die noch nicht gefestigt ist: Nordostasien und Zentralasien sind zwar inzwischen chinesisches Einflussgebiet, in Südostasien dominieren aber weiterhin die Japaner. Tokio verliert aber immer mehr die Vormachtstellung: Die Chinesen sind in der Region mittlerweile wirtschaftlich attraktiver geworden. Anderseits haben die Japaner den Rückhalt der USA.

Die ihre Pazifik-Präsenz verstärken...

Das wird vom chinesischen Militär genau beobachtet. Auch weil es Kräfte innerhalb der Armee gibt, die behaupten, dass die USA einen Krieg vorbereiten. Und dass die Chinesen dem zuvorkommen müssen. Ich habe lange nicht begriffen, warum die Chinesen im Territorialstreit mit Japan um die Senkaku-Inseln so hart reagieren: Sie wollen zeigen, dass sie bereit sind, Krieg zu führen. In Militärzeitschriften kursieren folgende Thesen: „Jeder, der in Europa einen Krieg anfangen würde, wäre konfrontiert mit einer Bevölkerung, die Krieg ablehnt. Wir müssen aufpassen, dass unser immer wohlhabenderes China sich nicht so entwickelt. Wenn wir zahnlos wie die Europäer werden, kann jeder mit uns machen, was er will.“

Was steckt hinter dieser Drohgebärde?

Wenn das System zusammenbricht, gibt es Bürgerkrieg. Einen Krieg, der Jahre dauern könnte. Einzige Alternative zur Partei ist das Militär. Die Armee darf aber nur auf Befehl der Partei handeln. Die Streitkräfte müssen also einen Weg finden, sich unabhängig von der Partei als letzter Retter zu positionieren. Dazu brauchen sie diese Kriegslogik: Um im Fall eines Sturzes der Partei die Legitimität zur Machtübernahme zu haben.

Welche Rolle spielt der „Geschichtsstreit“ mit Japan, der zu Spannungen in der gesamten Region führt?

Bezeichnend ist: In Geschichtsbüchern der Mao-Zeit wurde das Nanjing-Massaker mit einem einzigen Satz erwähnt (1937 ermordeten japanische Truppen in der chinesischen Stadt 200.000 Zivilisten, Anm.). Erst ab den 1980ern wurde es zum Thema. Der Geschichtsdiskurs ist ein Machtmittel: Er dient der ideologischen Schwächung Japans in der gesamten Region. Zudem kann Chinas frustrierte Bevölkerung durch die Japan-Proteste Dampf ablassen. Es ist wahr, dass in Japan die Vergangenheit nicht wirklich aufgearbeitet wurde. Aber Tokio kann sich noch so oft für seine Verbrechen entschuldigen, es wird nichts nützen.

Wie real ist die Kriegsgefahr?

Ein von China angezettelter Krieg ist unwahrscheinlich, da er der chinesischen Wirtschaft schaden würde. Krieg ist nicht ein Mittel der Innenpolitik – sondern ein Instrument der Innenpolitik. Die Gefahr ist aber, dass diese Dynamik außer Kontrolle gerät. Ein bewaffneter Konflikt könnte als Begleiterscheinung unkontrollierbarer Verhältnisse entstehen: Wenn etwa der interne Widerstand stärker wird, als wir derzeit beobachten.

Wächst der Widerstand?

Auf dem Land gibt es schon länger Proteste, die sind fragmentiert. Damit hat die Regierung kein so ein großes Problem. Nun greifen die Unruhen aber auf die Städte über. Sie sind der einzige Ort im Riesenreich, in dem Partei, Militär, Polizei gemeinsam präsent sind. Städte sind die Machtbasis der Partei. Überrascht hat die KP, dass Arbeiter revoltieren: Ausgerechnet jene Klasse, die lange von Parteienprivilegien profitiert hat. Die KP verliert ihre Legitimationsbasis und weiß nicht, wie sie reagieren soll. Viele wandern nach Kanada aus.

Wie sehr ist die Partei gespalten?

Es gibt mehrere Lager. Das schafft Koalitionsmöglichkeiten. Derzeit versucht die KP möglichst viele gesellschaftliche Kräfte an sich zu binden. Die Partei will auch Widerstandsnestern – etwa der Umwelt-, Antikorruptions- oder Demokratiebewegung – signalisieren, dass es Kräfte in der Partei gibt, die ihr Anliegen ernst nehmen.

Gebietsansprüche
Gebietsansprüche

Hat die KP die Mittelschicht hinter sich?

Seit 1989 galt ein Burgfriede: Die KP hat die Mittelschicht niedrig besteuert, ihnen wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten sowie Reisen ermöglicht, sie von Indoktrination verschont. Aber jetzt wird die Mittelschicht nervös. Denn in den Kleinbetrieben erscheinen die Arbeiter wegen der niedrigen Löhne nicht mehr, ihnen schwimmt das Geld davon. Überrascht hat mich neulich bei einer Konferenz in Shanghai, wie offen, heftig und kontroversiell dort diskutiert wurde. Das trauen sich die Intellektuellen nur, wenn sie wissen, dass die Zentralmacht schwach ist.

Welche Reformen sind notwendig?

Die Regierung bräuchte mehr Steueraufkommen, um das soziale Sicherungsnetz für die Arbeiter so zu spannen, dass sie vom Staat abhängig werden. Sonst kann sie die Konflikte nicht abfangen. Aber dafür müssten sie der Mittelschicht das Geld – in Form von Steuern – abnehmen. Und dann haben sie das nächste Problem.

Ist diese Führung reformfähig?

Fest steht: Es dreht sich alles um die Frage des Machterhalts. Es gibt Sinologen, die sagen, Chinas KP ist eine lernfähige Partei und wird auch diesmal eine Lösung finden. Und andere, die sagen: Derzeit ist keine Lösung in Sicht. Ich gehöre der zweiten „Schule“ an.

Zur Person

Professor Susanne Weigelin-
Schwiedrzik
lehrt seit 2002 am Ostasien-Institut der Universität Wien. Die Vizerektorin sitzt als einzige europäische Sinologin im wissenschaftlichen Beirat eines von US-Milliardär Stephen A. Schwarzman initiierten 300-Millionen-Dollar-Stipendiumprogramms: 200 Studierenden unter anderem aus Europa, China und den USA soll jährlich ein Master an der renommierten Tsinghua University in Peking finanziert werden. Schwarzman spricht von „Friedensinitiative“, die dem kulturellen Austausch dienen und die ein Netzwerk zwischen künftigen Eliten aufbauen soll.
[Uni Wien]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2013)

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