Wie Österreich wieder Zugang zum Meer erhalten könnte

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Eine Gruppierung von Separatisten fordert für den Adria-Hafen Triest die Reaktivierung des Freistaat-Statuts. Am Samstag demonstriert sie in Wien.

Wien. Österreich sollte seinen Zugang zum Meer zurückbekommen – auf indirektem Weg. Das zumindest wünscht sich die Unabhängigkeitsbewegung „Freies Triest“. Ziel der 2011 gegründeten Gruppierung ist, den nach dem Zweiten Weltkrieg vertraglich festgelegten Status des „Freistaates“ wieder zu aktivieren und damit die italienische „Souveränität“ zu beenden. Und Österreich sollte dann in seinem alten „Heimathafen“ wieder eine zentrale Rolle spielen.

Wenn aber am Samstag 300 Aktivisten aus Triest plangemäß auf der Wiener Mariahilfer Straße marschieren werden, gehe es in erster Linie um das Schicksal des Hafens, versichert Stefano Ferluga, Präsident der Bewegung, im „Presse“-Gespräch. Ziel ist, die österreichische Wirtschaft dazu zu animieren, den von Kaiser Karl VI. 1719 gegründeten Freihafen wieder zu alter Blüte zu verhelfen. Tatsächlich haben jahrzehntelange Misswirtschaft sowie die im Kalten Krieg isolierte Lage der Stadt dazu beigetragen, dass der einst wichtigste Adria-Hafen zu einem der vielen italienischen infrastrukturellen Todeskandidaten zu werden droht – was freilich auch Triest zu spüren bekommt: Tausende Arbeitsplätze gingen in den letzten Jahren verloren, immer mehr junge Menschen wandern aus.

„Trieste Libera“ sieht nur einen Weg aus der Krise: die Trennung vom verhassten Rom. Eine an sich nicht wirklich originelle norditalienische Lösung, bedenkt man den jahrzehntelangen Wahlerfolg der separatistischen Lega Nord vor allem im Nordosten des Landes. Und wohl auch nicht ganz zufällig ist Ferluga ehemaliger Lega-Aktivist.

Die Ansätze der Triestiner sind allerdings ausgeklügelter als der plumpe Lega-Separatismus, denn die Bewegung hat für ihr Anliegen tief in der historisch-juristischen Kiste gegraben. Und wurde in den ganz dunklen Zeiten der Geschichte der Stadt fündig: Im Rahmen des Friedensvertrages mit Italien 1947 hatten die Alliierten nämlich für das damals besetzte Gebiet den Status eines „freien Territoriums“ vorgesehen: einen Freistaat zwischen Italien und Jugoslawien, die in Grenzkonflikten verwickelt waren. Dieser Pufferstaat zwischen dem Westen und dem damaligen kommunistischen Jugoslawien sollte von einem von der UNO bestimmten Gouverneur verwaltet werden. Dazu kam es nie. Aber rein formal wurde dieser Status nie beendet: Auch im Memorandum von 1954, das die Gebietsaufteilung zwischen Italien und Jugoslawien regelte, ist nur von einer „provisorischen Verwaltung“ der beiden Staaten die Rede.

Die Nabelschnur der „Mama Austria“

Und darauf setzt Ferluga jetzt. 10.000 Unterschriften hat er bereits für eine Petition an die UNO gesammelt. Auch rechtliche Schritte gegen die „illegalen Steuereinnahmen durch Italien“ wurden eingeleitet, in Triest beschäftigt sich ein Gericht mit der Causa. Nun geht es um Höheres: Um den Freistaat-Status zu reaktivieren, „muss ein Drittstaat unser Anliegen vor der UNO vertreten“.

Dass er da an Wien denkt, daran besteht kein Zweifel. Aber zuerst soll Österreich diese Freistaatzukunft schmackhaft gemacht werden. So lockt die Bewegung mit lukrativen Perspektiven: Offshore-Produktionsbedingungen „wie in Gibraltar oder Hongkong“, ein strategischer Hafen und natürlich die Habsburg-Vergangenheit. „Triest wurde ja jahrhundertelang von Wien aus verwaltet. Österreich ist in unseren Genen, es ist schwierig, sich von ,Mama Austrias‘ Nabelschnur zu trennen“, wird Ferluga nostalgisch. Auf die Frage, ob ein Österreicher Triest verwalten sollte, antwortet er aber diplomatisch: „Wir blicken in die Zukunft, nicht zurück. Vorgesehen ist, dass die Verwaltung von einem Drittstaat – weder Italien noch Ex-Jugoslawien – geleitet wird.“

Bösen Stimmen zufolge steckt hinter dem Freistaat-Patriotismus vor allem eine Motivation: die Flucht vor den hohen italienischen Steuern – laut Bewegung „eine Waffe der Unterdrückung“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2013)

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