Die dunkle Seite der ägyptischen "Liberalen"

dunkle Seite aegyptischen Liberalen
dunkle Seite aegyptischen Liberalen(c) REUTERS (AMR ABDALLAH DALSH)
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Analyse. In der Ära Mubarak waren sie Opfer, unter dem islamistischen Präsidenten Mursi ebenso. Jetzt werden viele Liberale zu Mittätern, indem sie das Blutbad an Ägyptens Muslimbrüdern gutheißen.

Eine Karikatur, die in den sozialen Medien in Ägypten verbreitet wird, ist bezeichnend für den Zustand von Ägyptens Liberalen und Säkularisten. Mohammed ElBaradei ist dort zu sehen, wie er einer Frau, die Ägypten repräsentiert, das Messer in den Rücken rammt. Die ägyptische Dolchstoß-Legende ist geboren.

Der Karikaturist und der Karikierte rechnen sich beide dem liberalen Lager zu, das im Gegensatz zu den Muslimbrüdern steht. Doch ElBaradei hat aus dem Blutbad, das die Sicherheitskräfte angerichtet haben, seine Konsequenzen gezogen und ist als Vizepräsident zurückgetreten. Dafür wird er gerade in seinen eigenen Kreisen heftig angegriffen. „Eine falsche Entscheidung zur falschen Zeit“, die „eine ausländische Intervention fördert“, werfen ihm Fernsehkommentatoren vor. Die Nationale Rettungsfront, das Oppositionsbündnis, dem er vorstand, distanziert sich ebenso von ihm, wie die Verfassungspartei, die ElBaradei selbst gegründet hat. Der liberale Kolumnist Gamal el-Ghitani bezeichnet den Friedensnobelpreisträger gar als „Gefahr für das ägyptische Volk und den ägyptischen Staat“.

Ein Teil von Ägyptens Liberalen will heute Blut sehen und die Muslimbruderschaft, die sie als Terrororganisation betiteln, ausmerzen. Dafür haben sie sich mit dem Militär verbündet. Sie gehören neben den Seilschaften des alten Mubarak-Regimes zu den größten Cheerleadern des Putsches. In diesem Pakt mit dem Teufel hoffen sie, dass eine teilweise Restaurierung der alten Herrschaft eine Stabilität schaffen kann, mit der sie dann doch wieder über den Umweg eines Putsches den Weg zur Demokratie ohne die Muslimbrüder einschlagen können. Die Armee soll für Ruhe sorgen, während mithilfe technokratischer Übergangsminister schrittweise Land und Wirtschaft normalisiert werden sollen.

„Teufelspakt“ mit der Armee

Paradoxerweise haben die Liberalen dem aus dem Amt entfernten Präsidenten Mohammed Mursi und seinen Muslimbrüdern immer vorgeworfen, als Wahlsieger das Land für sich und seine Muslimbrüder zu beanspruchen. „The winner takes it all“, lautet die ägyptische Demokratie-Krankheit. Jetzt mit dem Militär im Rücken verhalten sich die Liberalen ganz genauso. Grundlage dafür stellt stets die Dämonisierung des politischen Gegners dar. Mohammed Nour Farahat, ein führendes Mitglied der winzigen Sozialdemokratischen Partei Ägyptens, reichte jetzt eine Petition an den Übergangspräsidenten ein, in der er fordert, die „Freiheits- und Gerechtigkeitspartei“ der Muslimbrüder als Terrororganisation zu verbieten. Es müsse alles unternommen werden, um der Welt zu zeigen, dass die Protestlager „friedlich aufgelöst wurden“, heißt es dort ernsthaft.

Ägyptens Liberale haben mit ihrer Unterstützung des Putsches ihre politische Unschuld verloren. Unter dem Mubarak-Regime und unter Präsident Mursi waren sie Opfer. Jetzt sind sie zu Mittätern geworden.

Da ist die psychologische Blockade groß beizudrehen. Und das ist der Grund, warum der Großteil der Liberalen die blutigen Akte des Militärs und des Sicherheitsapparates nach dem Motto „Augen zu und durch“ rechtfertigt, als notwendiges Übel auf dem Weg, die Islamisten wenn nicht physisch, dann doch zumindest politisch auszuradieren. Ein kleinerer Teil ist schockiert und hat sich zurückgezogen, und ein winziger ist bereit, wie ElBaradei, politische Konsequenzen zu ziehen.

Das größte Problem der Liberalen ist, dass die Bürde ihrer Mittäterschaft nicht geringer werden wird. Die Muslimbrüder, verbittert, desillusioniert vom demokratischen Prozess und mit vielen offenen persönlichen Rechnungen nach den hunderten Toten der letzten Tage, werden die neue Militärherrschaft und alles, was aus ihr hervorgeht, nicht akzeptieren. Will man sie kleinkriegen, geht das nur mit einem Unterdrückungsapparat, der jenen Mubaraks in den Schatten stellt. Dann schlägt endgültig die Stunde des alten Regimes. Die Liberalen werden dann das sein, was sie immer in Ägypten waren: Zaungäste im Kampf zwischen dem Sicherheitsapparat und den Muslimbrüdern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2013)

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