Ungarn: "Phase der politischen Korrektheit endet"

Ungarns Außenminister, Péter Szijjártó, räumt einer österreichischen Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen den geplanten Atomreaktor Paks II keine Chancen ein.
Ungarns Außenminister, Péter Szijjártó, räumt einer österreichischen Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen den geplanten Atomreaktor Paks II keine Chancen ein.Clemens Fabry / Die Presse
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Ungarns Außenminister Péter Szijjártó freut sich über den US-Wahlsieg von Donald Trump, setzt auf ein Tauwetter mit Russland, plädiert für Freihandel und eine EU-Armee – und sieht eine neue Weltordnung heraufdämmern.

Die Presse: Seit dem Brexit und der Wahl Trumps ringen politische Beobachter mit der Frage, was im sogenannten Westen vorgeht. Was ist Ihre Erklärung?

Péter Szijjártó: Die Phase der politischen Korrektheit kommt an ihr Ende. Europäische und amerikanische Wähler haben diese Heuchelei satt. Sie drängen ihre Politiker, Mut zu zeigen und Herausforderungen beim Namen zu nennen.


Was soll so falsch an politischer Korrektheit sein, am Bemühen, keinen unnötig zu beleidigen?

Politische Korrektheit ist schlecht, wenn Probleme nicht dargestellt werden, wie sie sind. Dann wird man auch keine richtigen Antworten finden. Wir können nicht zum Punkt kommen, solange wir uns nicht einigen, ob wir es mit Migranten oder Flüchtlingen zu tun haben.


Sie haben sich entschieden, nur noch von Migranten zu sprechen, nicht mehr von Flüchtlingen.

Wir reden über Fakten, über den Massenmigrationsstrom.


Ihr Premier, Viktor Orbán, feierte den US-Wahlsieg Donald Trumps als Ende der liberalen Nichtdemokratie. Ich verstehe nicht, was ausgerechnet Ungarn, das unter dem Kommunismus jahrzehntelang unfrei war, gegen den Liberalismus einzuwenden hat.

Wir sollten nicht dogmatisch sein. Die US-Außenpolitik hat unter dem Deckmantel des Liberalismus versucht, andere Staaten zu belehren, wie das Leben zu gestalten sei. Das halten wir für undemokratisch und falsch. Was in den USA funktioniert, muss nicht auch in Europa, in Nahost, Asien oder Afrika klappen. Wir müssen uns der unterschiedlichen Kulturen bewusst sein. Wir haben nichts gegen liberale Werte, aber Einwände gegen Demokratieexport. Denn dies hat viele Probleme rund um die Welt verursacht.


Stellen Sie die liberale Weltordnung infrage, die Globalisierung mit ihren offenen Grenzen?

Wenn es ein Land gibt, das Interesse an Freihandel hat, dann Ungarn. Wir haben eine offene, exportorientierte Volkswirtschaft mit Mitteleuropas höchstem Anteil an Auslandsinvestitionen im Vergleich zum BIP. Natürlich haben wir sensible Bereiche wie Landwirtschaft, wo wir Interessen schützen wollen. Aber ich habe mich in meiner Partei für das Ceta-Abkommen mit Kanada eingesetzt. Und ich bin unzufrieden mit den sehr langsamen Fortschritten bei TTIP, das vorteilhaft für Europa und Amerika wäre.


Mit Trump sinken die Chancen für das TTIP-Abkommen.

Möglich, wir wissen es noch nicht. Die USA sind unser zweitwichtigster Handelspartner außerhalb der EU. Und wenn es um offene Grenzen geht: Wir sind absolut für die vier Freiheiten der EU.


Auch für freien Personenverkehr?

Absolut. Freizügigkeit bedeutet jedoch nicht, dass Grenzen illegal überschritten werden dürfen.


Warum ist Ihre Regierung so begeistert von Donald Trump?

Die ungarisch-amerikanische Beziehung ruht auf drei Säulen. Zwei funktionierten professionell: Verteidigung und Wirtschaft. Die politische Säule jedoch funktionierte schlecht: Wir standen heftig unter Druck, seit wir uns 2010 entschieden, Ungarn umzustrukturieren.


Ihnen missfiel also die US-Kritik?

Wir können mit Kritik leben, aber uns missfielen Versuche, sich in interne Angelegenheiten einzumischen. Das hat unsere Beziehungen zu den USA beschädigt.

Von Trump muss Ungarn keine Einmischung befürchten.

Wir verfolgten den US-Wahlkampf und erkannten, dass Trump den Demokratieexport aus der US-Außenpolitik eliminieren möchte. Außerdem ist uns Trumps Haltung zu Migration näher als Clintons. Für uns war es viel besser, dass Trump die Wahl gewann, und nicht Clinton. Wir sind sehr froh über die Entscheidung der US-Wähler.


Betrachten Sie das britische Votum für den Ausstieg aus der EU und den Aufstieg der Rechtspopulisten als Folge der Migration?

Europäische Institutionen haben nicht genug darauf geachtet, was die Bürger bewegt. Das Konzept, immer mehr Befugnisse an Brüssel zu transferieren, ist gescheitert. Wenn es zuletzt Antworten auf Herausforderungen gab, dann kamen sie von den Mitgliedstaaten und sicher nicht von der Gemeinschaftsebene. Nur stärkere Mitgliedstaaten können eine stärkere EU schaffen.


Ungarn schwächt die EU mit seinen Alleingängen und der Weigerung, Flüchtlinge aufzunehmen.

In der Migrationskrise waren Ungarn und die Visegrád-Staaten die Ersten, die Antworten gaben und den Schutz der EU-Außengrenze forderten. Ungarn war auf der richtigen Seite der Geschichte.


Es stehen Wahlen in Frankreich, Deutschland und den Niederlanden an. In welche Richtung wird sich die EU bewegen?

Wir hoffen auf eine starke EU. Ungarn kann nur in einer starken EU erfolgreich sein.

Fürchten Sie um Europa, wenn Le Pen in Frankreich gewinnt? Sie will die EU zerschlagen.

Überlassen wir die Wahlentscheidung den Franzosen.


Was ist nötig, um die EU stark zu machen?

Wir müssen unsere Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen. Zudem muss sich die EU verteidigen können und die politische Korrektheit sein lassen.


Ungarn plädiert für eine europäische Armee. Ist die Chance dafür nach Trumps Wahl gestiegen?

Noch nie war die Chance so gut wie jetzt. Die Europäer richteten sich gemütlich ein und erwarteten, dass sie Amerika beschützt. So können wir aber kein guter Verbündeter der USA sein. Die EU muss ihre militärischen Kapazitäten und den europäischen Pfeiler der Nato stärken.


Beginnt eine neue Ära in der Weltpolitik?

Ja. Wir treten nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich in eine komplett neue Phase ein. Eine neue Weltordnung entsteht.


Erwarten Sie zu Beginn der Amtszeit Trumps ein Tauwetter zwischen den USA und Russland?

Das hoffe ich. Denn wann immer es einen Konflikt zwischen dem Westen und dem Osten gegeben hat, hat Mitteleuropa verloren. Jetzt verhält es sich bei den Sanktionen gegen Russland ähnlich.


Was kann ein erster Schritt sein?

Ich hoffe auf ein russisch-amerikanisches Abkommen für Syrien. Denn wenn es keine Lösung in Syrien gibt, wird sich die Migrationskrise fortsetzen.


Stehen die Russland-Sanktionen vor der Aufhebung?

Ungarn tritt für rationale Entscheidungen ein. Wirtschaftliche Restriktionen sind nicht rational.

Haben Sie in Wien über den Atomreaktor Paks II gesprochen?

Ich habe mit meinem Freund Sebastian Kurz darüber geredet. Wir stimmen darin überein, nicht übereinzustimmen. Österreich ist ein Anti-, Ungarn ein Pro-Atom-Land. Die Österreicher können aber sicher sein, dass die Erweiterung von Paks gemäß strengster internationaler Sicherheitsregeln erfolgt.


Erwarten Sie, dass Österreich den Fall vor den EuGH bringt?

Wir haben gehört, dass Vizekanzler Mitterlehner das gesagt hat. Doch er liegt falsch, wenn er Ungarn wegen Subventionen klagen will. Russland stellt für Paks II einen Kredit bereit.

Zur Person

Péter Szijjártó (38) ist seit 23. September 2014 ungarischer Minister für Außenpolitik und Außenhandel. Der Absolvent der Corvinus-Universität (Internationale Beziehungen, Sportmanagement) wurde 2002 Abgeordneter des Fidesz. Von Mai 2010 bis 2012 war er Regierungssprecher von Premier Viktor Orbán. Er nahm zu Beginn der Woche in Wien an einer Konferenz der Atomenergiebehörde IAEA zum Thema Nuklearsicherheit teil.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10. Dezember 2016)

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