Mögliche Annäherung an die Taliban

Plötzlich neue Freunde in Moskau? Talibankämpfer in der afghanischen Provinz Ghazni.
Plötzlich neue Freunde in Moskau? Talibankämpfer in der afghanischen Provinz Ghazni.(c) REUTERS (STRINGER)
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Russland und der Iran sollen die Taliban als Gegner des IS aufbauen. Moskau dementiert Kontakte nicht. Die Sorge um weitere Instabilität am Hindukusch wächst.

Kabul/Teheran/Moskau. Berichte unter anderem seitens der afghanischen Regierung sowie US-Militärs zeichnen seit Kurzem ein unangenehmes Bild, das wie ein Rückfall in die Zeiten des Kalten Kriegs wirkt – allerdings mit neuen, durchwegs vertauschten Rollen: Eine angebliche Annäherung Russlands und des Irans an die radikalislamischen Talibanmilizen schürt Ängste vor einer weiteren Destabilisierung des Landes und seiner vor allem vom Westen unterstützten Regierung – und vor einer neu aufgewärmten Rivalität der Großmächte am Hindukusch.

Afghanistan war nach der Besetzung durch sowjetische Truppen 1979 bis zu deren schmählichem Abzug 1989 nach dem brutalen Krieg gegen islamische Rebellen (Mudschaheddin) auch ein zentraler Schauplatz des Kalten Kriegs, als die UdSSR und USA dort ihre Interessenkonflikte austrugen. Damals unterstützte Washington die afghanischen Rebellen gegen die Rote Armee, etwa mit Flugabwehrwaffen. Nun aber versuchen Russland und der Iran offenbar, ihre Kontakte zu den jetzigen islamistischen Aufständischen, im Wesentlichen den Taliban, auszubauen.

Moskau und Teheran bestreiten das nicht einmal: Ihre Kontakte zu den Taliban zielten darauf ab, die Sicherheit in der Region voranzubringen, hieß es zuletzt. Die USA beäugen das Verhältnis der beiden Länder zu den Extremisten allerdings misstrauisch.

Russland räumt Kontakte ein

„Russlands Standpunkt lautet etwa: Die Taliban sind diejenigen, die den Islamischen Staat bekämpfen“, sagte jüngst der Chef der US-Truppen in Afghanistan, General John Nicholson, mit Blick auf die auch in Afghanistan und Pakistan aktive Jihadistenmiliz IS. „Die Legitimität, die Russland so den Taliban verschafft, beruht nicht auf Tatsachen. Sie wird aber genutzt, um die afghanische Regierung und Anstrengungen der Nato zu untergraben und die Kämpfer zu unterstützen.“ Ähnliches gelte für den Iran, dem Nicholson ebenfalls Verbindungen zu Taliban vorwarf.

Zwar unterstützt auch Russland die afghanische Armee, etwa mit der Lieferung von Hubschraubern und Artillerie. Gleichzeitig soll Moskau aber die Taliban mit Waffen ausrüsten, wie aus dem Umfeld der Regierung in Kabul sowie der Taliban selbst verlautet. So sei kürzlich eine große Menge Waffen aus Russland im Grenzgebiet zur früheren Sowjetrepublik Tadschikistan sichergestellt worden, sagte ein ranghoher Vertreter der afghanischen Sicherheitsbehörden der Nachrichtenagentur AFP. Dies sei beunruhigend: „Eine grenzüberschreitende Unterstützung für die Taliban wird die Sicherheitslage im Norden Afghanistans weiter verkomplizieren.“

Taliban-Offensive dank russischer Hilfe

Ein Taliban-Kommandant sagte, die Hilfe Russlands habe es ermöglicht, im Oktober eine neue Offensive auf Kunduz zu starten. Erst 2015 war es den Taliban gelungen, die strategisch wichtige Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Norden des Landes vorübergehend einzunehmen.

Gesandte der Taliban sollen in den vergangenen Monaten mehrfach russische Regierungsvertreter in Tadschikistan und Moskau getroffen haben. Die Regierung in Kabul kritisiert das scharf: „Kein Land sollte in Kontakt zu zerstörerischen Gruppen stehen, die Feinde Afghanistans sind“, sagte der Sprecher des Innenministeriums, Sediq Sediqqi. Für Ärger sorgte in Kabul auch ein Treffen zwischen Russland, China und Pakistan in Moskau, bei dem sich die Beteiligten offen dafür zeigten, Vertreter der Taliban von der UN-Sanktionsliste zu streichen. Russlands Botschafter in Kabul, Alexander Mantyzki, beharrt aber darauf, dass Moskau seine Kontakte zu den Taliban nutze, um „unsere Büros und Konsulate zu schützen sowie die Sicherheit in Zentralasien zu gewährleisten“. Die Vorwürfe gegen Russland seien der Versuch, vom Versagen der Nato-Partner in Afghanistan abzulenken und „die Schuld für ihre Fehler auf uns zu laden“.

Laut Michael Kugelman, Asien-Experte des Woodrow-Wilson-Instituts in Washington, ist Moskaus Warnung vor einem Erstarken des IS in Afghanistan nicht aus der Luft gegriffen. Zwar seien die Jihadisten in dem Land nicht tief verankert, es sei aber möglich, dass Russen und Iraner „sich gegen eine stärkere Präsenz des IS dort wappnen wollen, indem sie die Kontakte zu den Taliban vertiefen“.

Was macht Donald Trump?

Experten rätseln, wie die Afghanistan-Strategie des designierten US-Präsidenten, Donald Trump, aussehen könnte. Moskau warte darauf, wie sich Trump positionieren werde, sagt der Afghanistan-Experte Ahmad Saeedi in Kabul: „Falls Trump sich entschließt, die US-Präsenz zurückzufahren, wird Russland bestrebt sein, diese Lücke zu füllen. (AFP/ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2017)

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