Deutschland: Zwei Realos oder ein Signal für Schwarz-Grün

Doppelspitze Göring-Eckardt und Cem Özdemir.
Doppelspitze Göring-Eckardt und Cem Özdemir.APA/AFP/dpa/KAY NIETFELD
  • Drucken

An der Seite von Katrin Göring-Eckardt wird Cem Özdemir die Grünen in die Bundestagswahl führen. Der Richtungsstreit ist damit entschieden.

Berlin. Kann ein Wahlergebnis gleichermaßen erwartbar und überraschend sein? Durchaus. Das haben die deutschen Grünen in ihrer dreimonatigen Urwahl gezeigt, deren Ergebnis seit Mittwochvormittag bekannt ist. Demnach wurde der Favorit, Parteichef Cem Özdemir, von den rund 61.000 Mitgliedern zwar zum zweiten Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl gewählt – neben Katrin Göring-Eckardt. Allerdings nur denkbar knapp.

Özdemir, seit neun Jahren Parteivorsitzender, bekam 35,96 Prozent der Stimmen. Auf Robert Habeck, den Umweltminister von Schleswig-Holstein, entfielen 35,74 Prozent. Den Unterschied machten gerade einmal 75 Stimmen aus. Fraktionschef Anton Hofreiter, der Dritte im Bunde und gleichzeitig der einzige Bewerber aus dem linken Parteiflügel, musste sich mit 26,19 Prozent begnügen.

Göring-Eckardt, gemeinsam mit Hofreiter Fraktionschefin, stand von Beginn an als Spitzenkandidatin fest, weil sie die einzige weibliche Bewerberin war. Die Grünen haben hier eine strenge Quote. Allerdings fiel auch ihr Wahlergebnis mit rund 71 Prozent nicht wirklich überzeugend aus.

Lösung von der rot-grünen Fixierung

Es sagt dann doch einiges über den Zustand der Partei aus, wenn jemand wie der weithin unbekannte Landespolitiker Robert Habeck, dessen Wahlkampf darin bestand, das grüne Establishment in Berlin zu kritisieren, um ein Haar den Parteichef geschlagen hätte.

Gleichzeitig ist das Ergebnis aber auch eine Richtungsentscheidung. Denn Özdemir und Göring-Eckardt zählen zum Realo-Flügel der Partei. Man darf ihre Kür als subtile Botschaft an Kanzlerin Angela Merkel interpretieren, als Signal für Schwarz-Grün. Nach dem enttäuschenden Ergebnis bei der Wahl 2013 (8,4 Prozent) löste sich die Parteispitze von der rot-grünen Fixierung, um sich neue Machtoptionen abseits der SPD zu eröffnen. Intern hat das zu einem Richtungsstreit geführt – der nun entschieden sein dürfte.

Özdemir, der aus Baden-Württemberg kommt und 1994 der erste Abgeordnete mit türkischen Wurzeln war, vertritt für einen Grünen mitunter untypische Positionen. Seit dem Terroranschlag in Berlin verlangt er etwa mehr Videoüberwachung. In einem Interview mit der „Presse am Sonntag“ sprach er sich vor Kurzem für klare, an den westlichen Werten orientierte Integrationsregeln aus und bezog sich dabei auf die „wertkonservative Wurzel“ der Grünen: „Die müssen wir stärker zum Vorschein bringen, anstatt sie kampflos den Rechten zu überlassen.“

Göring-Eckardt wurde angesichts einer ähnlich bürgerlichen Haltung von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ schon einmal als „grüne Angela“ bezeichnet. Die 50-Jährige stammt aus Thüringen und war Vorsitzende der Synode der evangelischen Kirche, ehe sie 2013 Spitzenkandidatin neben Jürgen Trittin wurde. In der aktuellen Sicherheitsdebatte verlangt sie unter anderem eine nachträgliche Überprüfung der Asylwerber.

Die „Superreichensteuer“, zu der sich die Grünen bei ihrem Parteitag im November durchgerungen haben, dürfte unter Özdemir und Göring-Eckardt etwas weniger offensiv gefordert werden. Man will ja die Union nicht vergrämen. Außerdem ist der linke, Rot-Grün-affine Parteiflügel durch Hofreiters Niederlage nun deutlich geschwächt.

Gewählt wird wohl am 24. September

Allerdings werden die beiden Spitzenkandidaten Mühe haben, die gesamte Partei hinter sich zu vereinen. Gut steht es um die Grünen derzeit nicht. Durch eine Mischung aus interner Zerrissenheit und ungünstiger Themenlage (Flüchtlinge, Terror) haben sie seit Sommer vier bis fünf Prozentpunkte in den Umfragen eingebüßt. Im Moment liegt die Partei nur knapp über dem Wahlergebnis von 2013.

Die Bundestagswahl 2017 wird aller Voraussicht nach am 24. September stattfinden. Die Regierung hat diesen Termin am Mittwoch vorgeschlagen. Jetzt muss nur noch Bundespräsident Joachim Gauck zustimmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.