Kroatien: Die unerwünschte Anne Frank

(c) APA/AFP/ANNE FRANK FONDS
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Die bisher in 40 Staaten gezeigte Wanderausstellung über das Schicksal des Holocaust-Opfers wurde an einer Schule im kroatischen Šibenik aus rein nationalen Gründen bereits nach einem Tag wieder abgesetzt.

Zagreb. Über 40.000 kroatische Schüler hatten in den vergangenen drei Jahren in 23 Städten des Adria-Staats die bisher in 40 Ländern gezeigte internationale Wanderausstellung „Anne Frank – Geschichte für die Gegenwart“ bereits besucht. Doch der Direktor der Technischen Schule in der Küstenstadt Šibenik hatte bereits nach einem Tag von der erst vergangene Woche eröffneten Ausstellung über das Schicksal des 1945 im KZ Bergen-Belsen verstorbenen Mädchens genug. Der Grund: Sie zeigt Schautafeln, die auch an die Opfer von Kroatiens faschistischem Ustascha-Regime erinnern.

In der Ausstellung werde der Eindruck erweckt, dass Ustascha-Angehörige Verbrecher gewesen seien, die „Serben und Juden abschlachteten und Kinder aushungerten“, begründete Schuldirektor Josip Belaramić seine Forderung nach Entfernung von sechs Stelltafeln, die „nicht Teil der europäischen Ausstellung“ zu Anne Frank seien: „Warum wird nicht gezeigt, wie die Partisanen nach dem Zweiten Weltkrieg die Kroaten töteten? Was ist mit den von den Kommunisten begangenen Verbrechen von Bleiburg und auf Goli otok?“

Der Hinweis der Organisatoren, dass die von der Anna-Frank-Stiftung in Amsterdam in Kooperation mit nationalen Partnern konzipierte Ausstellung in jedem Land aus einem internationalen und nationalen Teil bestehe, konnte den Direktor ebenso wenig besänftigen wie der Vorschlag, die Ausstellung mit Schautafeln zu den von ihm vermissten Themen zu ergänzen. Da er auf der Entfernung der missliebigen Tafeln beharrte, sahen sich die Organisatoren gezwungen, die Ausstellung nach einem Tag abzusetzen.

Weltkrieg betraf nicht nur Deutsche

Eine der Schlüsselbotschaften der an Jugendliche gerichteten Ausstellung sei es, dass Kinder viel zu oft unschuldige Opfer von Kriegen seien, so Ausstellungskoordinator Tvrtko Pater in einem Schreiben an die kroatischen Medien. Leider nehme in Kroatien die Zahl der Fälle zu, in denen Interessengruppen und Politiker Geschichte dazu instrumentalisierten, neue Teilungen in „wir und sie“ und in „gute und schlechte“ zu schaffen. Die Entfernung der Schautafeln würde „die Idee stärken, dass der Zweite Weltkrieg etwas war, was nur die Deutschen und Juden betraf“, so Pater. Doch es wäre eine Verfälschung der Geschichte, die Tatsache zu ignorieren, „dass Kroatien sehr wohl Teil dieses Krieges“ gewesen sei: „Wir waren nicht bereit, uns auf diesen falschen Kompromiss einzulassen.“

Schon im vergangenen April hatten Opferverbände wegen der zunehmenden Verharmlosung der Ustascha-Verbrechen auch vonseiten der kroatischen Regierung erstmals die offizielle Gedenkfeier im früheren KZ Jasevonac boykottiert: In dem einzigen nicht von den Deutschen betriebenen NS-Vernichtungslager waren während des Krieges über 80.000 Menschen ermordet worden. Mit der Absetzung der Anne-Frank-Ausstellung ist für den sozialdemokratischen Abgeordneten Nenad Stazic ein weiterer Tiefpunkt beim Umgang mit Kroatiens Ustascha-Erbe erreicht: „Erneut haben wir uns vor aller Welt beschämt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2017)

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