„Russiagate“ erfasst Donald Trumps Regierung

Michael Flynn
Michael FlynnREUTERS
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Enge Vertraute des Präsidenten waren im Wahlkampf mit dem russischen Geheimdienst, der seine Konkurrentin sabotierte, in Kontakt.

Washington. Die Enthüllung der engen Kontakte seines am Montag zurückgetretenen Nationalen Sicherheitsberaters, Michael Flynn, und ungenannter weiterer Vertrauter zu russischen Regierungsvertretern und Geheimdienstmitarbeitern bringen US-Präsident Donald Trump nach nicht einmal einem Monat im Amt stark unter Druck. Am Mittwoch begann Trump schon vor sieben Uhr morgens, auf Twitter seinem Zorn über die täglich neuen Offenbarungen der engen Verbindung seines Team mit dem Kreml Luft zu machen. „Die Fake-News-Medien drehen durch mit ihren Verschwörungstheorien und blindem Hass. MSNBC und CNN sind nicht anzuschauen. Fox & Friends ist großartig!“, donnerte er in seinem Leibmedium. „Der Nonsens über die russische Verbindung ist nur ein Versuch, die vielen Fehler von Hillary Clintons verloren gegangener Wahlkampagne zu verdecken“, fuhr er fort, und: „Information wird von der Geheimdienstcommunity illegal an die untergehende ,New York Times‘ und ,Washington Post‘ weitergegeben. Ganz wie in Russland. Der wahre Skandal hier ist, dass geheime Informationen von den Diensten illegal wie Zuckerln verteilt werden. Sehr unamerikanisch!“

„Ich liebe WikiLeaks!“

Die Legalität der Übermittlung vertraulicher geheimdienstlicher Ermittlungs- und Abhörergebnisse an die Medien ist eine berechtigte Sorge, allerdings hat sie Trump bisher nicht merklich beunruhigt: „Russland, wenn du zuhörst: Ich hoffe, du wirst es schaffen, die 30.000 fehlenden E-Mails zu finden“, höhnte Trump zum Beispiel am 27. Juli während einer Wahlkundgebung in Richtung Clinton. Er meinte damit jene Nachrichten vom privaten E-Mail-Server aus ihrer Zeit als Außenministerin, welche nach Befund ihres Rechtsanwalts als nicht dienstlich zu betrachten und folglich gelöscht worden waren. Allein im letzten Monat vor der Wahl am 8. November vorigen Jahres erwähnte Trump WikiLeaks, die Onlineplattform für gehackte Daten, welche die gestohlenen E-Mails von Clintons Wahlkampfleiter, John Podesta, veröffentlichte und damit wesentlich zu Clintons knapper Niederlage beitrug, 164 Mal – und ausschließlich lobend. „Ich liebe WikiLeaks“, sagte er zum Beispiel am 10. Oktober in einer Wahlkampfrede. Doch gegenwärtig steht Trump unter enormem Erklärungsdruck. Denn die Behauptungen und Rechtfertigungen seiner Sprecher und Vertrauensleute in der Frage jenes Skandals, der bereits den Spitznamen „Russiagate“ erhalten hat, ergeben immer weniger Sinn.

Hier die Fakten: Am 29. Dezember vorigen Jahres verfügte der scheidende Präsident, Barack Obama, die Ausweisung von 35 russischen Diplomaten, die nach Ansicht der US-Regierung in Wahrheit Spione waren, sowie die Beschlagnahme zweier Anwesen in Maryland und New York, welche von den russischen Geheimdiensten für Spionagezwecke verwendet worden sein sollen. Anlass für diese Sanktionen war die Feststellung der US-Regierung, dass der Kreml sich subversiv in die Präsidentschaftswahlen eingemischt hatte, allen voran mit dem Hackerangriff auf Podestas E-Mail-Server. Es wurde erwartet, dass der Kreml sofort entsprechende Gegensanktionen erlassen würde. Doch nichts passierte. Russlands Präsident, Wladimir Putin, reagierte bemerkenswert zahm. Mitte Jänner enthüllte die „Washington Post“, dass Flynn in regem Kontakt mit Sergej Kisljak, dem russischen Botschafter in Washington, war – auch und vor allem am und um den Tag der Ankündigung von Obamas Strafaktion. Flynn behauptete standhaft, er habe mit Kisljak nicht über die Sanktionen und eine etwaige Zusicherung gesprochen, nach Trumps Amtsantritt könne man über deren schrittweise Aufhebung reden.

Doch zu Beginn dieser Woche legte die „Washington Post“ offen, dass FBI und NSA bei der routinemäßigen Überwachung der Telefonate von Kisljak entdeckt hätten, dass Flynn den Russen sehr wohl ein solches bedenkliches Angebot gemacht hatte. Flynn hatte also gelogen. Das Justizministerium, dem das FBI unterstellt ist, informierte Trumps Rechtsbeistand schon am 26. Jänner darüber, dass Flynn folglich fortan jederzeit von Moskau erpresst werden könnte. Und am Dienstagabend legten die „New York Times“ und CNN unabhängig voneinander nach: Einige Vertraute Trumps seien während des Jahres vor der Wahl in laufendem Kontakt mit russischen Geheimdienstleuten gewesen. Genannt wurde neben Flynn auch Paul Manafort, Trumps zwischenzeitlicher Kampagnenchef.

Was wusste der Präsident?

All dies wirft Fragen auf, die weder Trump noch seine Fürsprecher schlüssig beantwortet haben: Wie eng kooperierte sein Team mit dem Kreml? Warum tat man das? Und die Königsfrage: Gab Trump selbst den Auftrag zu diesem Einvernehmen mit Moskau, oder handelte es sich um die Eigeninitiativen übereifriger Mitarbeiter?

Der renommierte Fernsehjournalist Dan Rather brachte das Problem so auf den Punkt: „Watergate war der größte politische Skandal meines Lebens – zumindest bis jetzt.“ Der republikanische Senator John McCain warnte: „Niemand weiß, wer zuständig ist, niemand weiß, wer die Politik vorgibt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2017)

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