USA: Verbale Beruhigungspille für die Europäer

Nach dem Treffen mit US-Vizepräsident Pence (l.) zeigte sich Ratschef Tusk davon überzeugt, dass die „Gerüchte über den Tod des Westens reichlich übertrieben“ seien.
Nach dem Treffen mit US-Vizepräsident Pence (l.) zeigte sich Ratschef Tusk davon überzeugt, dass die „Gerüchte über den Tod des Westens reichlich übertrieben“ seien.(c) REUTERS (FRANCOIS LENOIR)
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US-Vizepräsident Pence stattet der EU einen Besuch ab und verspricht, dass Washington weiter für die Sicherheit Europas sorgen werde. In Brüssel zeigt man sich erleichtert.

Brüssel. Am Anfang einer Beziehung wird jedes Wort auf die Waagschale gelegt – und das gilt nicht nur für die zwischenmenschliche Annäherung, sondern auch für die Weltpolitik. Insofern war es nicht verwunderlich, dass die in Brüssel versammelten Journalisten am Montag an den Lippen von Donald Tusk und Mike Pence hingen, nachdem der Präsident des Europäischen Rats und der Vizepräsident der USA Montagvormittag ihr erstes Tête-à-tête absolviert hatten. „Vielen Dank für das Treffen. Wir alle haben es wirklich gebraucht“, sagte Tusk. Hauptverantwortlich für dieses dringende Bedürfnis nach einer Aussprache ist Pences Vorgesetzter, US-Präsident Donald Trump. Der Neuankömmling im Weißen Haus hat seit seiner Amtsübernahme wiederholt an den Eckpfeilern der transatlantischen Beziehungen gerüttelt. Unter anderem bezeichnete Trump das Verteidigungsbündnis Nato als obsolet, freute sich über das Votum Großbritanniens für den EU-Austritt und mutmaßte, dass der Europäischen Union weitere Mitglieder abhanden kommen könnten.

In Brüssel und in den Hauptstädten der EU-Staaten sind diese Aussagen als gefährliche Drohung aufgefasst worden. Ratspräsident Tusk fasste die Stimmung in einem scharf formulierten Hirtenbrief an die Staats- und Regierungschefs der EU im Vorfeld des Gipfeltreffens in Malta Anfang Februar zusammen, in dem er darauf hinwies, dass „der Wechsel in Washington die Europäische Union in eine schwierige Lage bringt“, da das Kabinett Trump „die vergangenen sieben Jahrzehnte der US-amerikanischen Außenpolitik infrage zu stellen scheint“.

US-Charmeoffensive

Tusks düstere Vorahnungen haben sich bis dato nicht erfüllt – jedenfalls nicht, was Trumps Regierungsteam anbelangt. In den vergangenen Tagen unternahmen US-Vizepräsident Pence und Verteidigungsminister James Mattis eine regelrechte Charmeoffensive in Europa, deren bisheriger Kulminationspunkt die Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende war. Pence und Mattis versicherten den Europäern, dass die USA weiter an ihrer Seite stehen würden – verknüpften diese Zusage allerdings mit einer Forderung nach größerem finanziellen Engagement in der gemeinsamen Verteidigungspolitik.

Bei seinem Auftritt an Montag in Brüssel legte der US-Vizepräsident nach: Die USA seien dazu verpflichtet, ihre Beteiligung an der gemeinsamen Sicherheitspolitik aufrechtzuerhalten und sogar „auszuweiten“, sagte Pence. Als Feindbilder, denen die transatlantischen Partner gegenüberstünden, nannte Trumps Stellvertreter „barbarische Terroristen“ sowie Russland, das europäische Grenzen zu seinen Gunsten verändern möchte. Die US-amerikanische Haltung gegenüber Moskau dürfte aber weiter ambivalent bleiben: Pence sprach einerseits davon, dass die USA die Ostflanke der Nato (sprich das Baltikum und Polen) durch Truppenpräsenz verstärken möchten, kündigte aber andererseits an, sein Chef im Weißen Haus wolle einen neuen gemeinsamen Nenner mit Russland finden.

Die Position der USA ist also nicht in Stein gemeißelt, und das dürfte vermutlich bis zum ersten Besuch Trumps in Brüssel so bleiben – der US-Präsident soll am Nato-Gipfel Ende Mai teilnehmen. Als relativ unverrückbar gilt allerdings die Forderung nach einem größeren europäischen Engagement bei der Nato. Die 28 Mitglieder des Bündnisses haben sich eigentlich dazu verpflichtet, mindestens zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in die Verteidigung zu investieren. Neben den USA erfüllen dieses selbst gesteckte Ziel momentan nur vier EU-Mitglieder: Großbritannien, Estland, Griechenland und Polen. Die restlichen Mitgliedstaaten haben zugesagt, ihre Verteidigungsausgaben bis spätestens 2024 an die Vorgaben anzupassen. Dem Vernehmen nach geht das den US-Amerikanern aber nicht schnell genug, Verteidigungsminister Mattis soll von den Nato-Bündnispartnern verlangt haben, bereits im laufenden Jahr signifikante Ausgabensteigerungen zu versprechen – ein Wunsch, der an den Zwängen des EU-Stabilitätspakts scheitern dürfte, denn Nato-Mitglieder wie Spanien und Italien haben momentan kaum budgetären Spielraum für eine Steigerung ihrer Verteidigungsetats. Und dieses Begehr der USA wird mancherorts ohnehin infrage gestellt: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wies unlängst darauf hin, dass die Europäer zwar weniger für Verteidigung, dafür aber mehr für humanitäre Hilfe und Entwicklung ausgeben – und damit ebenfalls einen Beitrag zur regionalen Sicherheit leisten.

Nach anfänglicher Skepsis zog Ratspräsident Tusk am Montag jedenfalls eine vorsichtig optimistische Zwischenbilanz: „Die Gerüchte vom Tod des Westens sind reichlich übertrieben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2017)

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