Algerien: Angst vor neuem Unruheherd in Nordafrika

Die Fahnen werden abmontiert. Algeriens kranker 79-jähriger Präsident kann die deutsche Kanzlerin nicht empfangen.
Die Fahnen werden abmontiert. Algeriens kranker 79-jähriger Präsident kann die deutsche Kanzlerin nicht empfangen.(c) REUTERS (RAMZI BOUDINA)
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Die Wut über das Regime wächst. Der Tod des Präsidenten könnte das Pulverfass zünden.

Tanger. Die Djamaa El Djazair Moschee ist ein Bau für die Ewigkeit. 120.000 Gläubige sollen darin beten können und das Minarett wird mit 265 Metern das höchste weltweit. Stolze 1,2 Milliarden Euro kostet das Gebäude in der Bucht von Algier, das der deutsche Architekt Jürgen Engel entworfen hat.

2012, als der Bau der Moschee begann, konnte sich Algeriens Regierung diese Gigantomanie noch leisten. Aber damit ist es heute vorbei. Denn die Preise für Erdöl und Gas sind dermaßen im Keller, dass Algerien dem Staatsbankrott entgegengeht. Außer fossilen Brennstoffen gibt es keine nennenswerte Industrie in dem nordafrikanischen Land. „Statt dieser Moschee hätten sie besser Krankenhäuser und Schulen gebaut und Löhne erhöht“, sagte ein verärgerter junger Mann aus Algier.

Die Unzufriedenheit in weiten Teilen der Bevölkerung wächst. Zugleich mehren sich die Gerüchte, dass sich der Gesundheitszustand des seit Jahren kranken algerischen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika weiter verschlechtert. Das Präsidialamt musste gerade erst der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel absagen, die am Montag und Dienstag den 79-jährigen Bouteflika in Algier besuchen wollte. Der Präsident könne Merkel nicht empfangen, weil er wegen „akuter Bronchitis vorübergehend verhindert“ sei.

Bouteflika steht an der Spitze einer verkrusteten Herrscherelite. Die Menschen leiden unter weit verbreiteter Korruption. Seit 2015 wurden Sparmaßnahmen auf allen Ebenen beschlossen. Die Kürzung staatlicher Subventionen von Grundnahrungsmitteln – wie Milch, Brot und Mehl – trifft viele hart. Dazu kommen steigende Inflation und Arbeitslosigkeit, die besonders unter Jugendlichen, mit 32 Prozent, äußerst hoch ist. Das sind exakt die Ingredienzien, die in Tunesien, Libyen und Ägypten zum Sturz der Machthaber führten.

Protest gegen Einsparungen

Algerien ist dagegen bisher von Massenprotesten verschont geblieben. Aber nun scheint sich die Lage immer mehr zuzuspitzen. Ist Algerien das nächste Land, das vom Arabischen Frühling erfasst wird und womöglich, wie Libyen, in Chaos zerfällt?

Im Jänner war es in Bejaia and Bouira, in Ostalgerien, zu Protesten wegen der Preiserhöhungen gekommen. Dabei gab es gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. Auch in anderen Landesteilen kam es zu Protesten gegen die neuen Sparmaßnahmen der Regierung.

„Ich sehe wirklich keine Instabilität in Algerien“, sagt trotzdem Djamel Benachour, ein Journalist der angesehenen algerischen Zeitung al-Watan. „Man kann keine Vergleiche mit Tunesien oder anderen Ländern des sogenannten Arabischen Frühlings ziehen.“ Der Journalist verweist auf die sozialen Unruhen vom Oktober 1988. Damals waren überwiegend Jugendliche auf die Straße gegangen. Sie wollten mehr Freiheit, lösten aber stattdessen Instabilität und Chaos aus, die in den algerischen Bürgerkrieg mündeten. Bei diesem Konflikt zwischen Armee und radikalen Islamisten, der über zehn Jahre dauerte, kamen mehr als 150.000 Menschen um Leben. Das sei eine Erfahrung, die nicht vergessen wurde, glaubt Benachour.

„Die Vergangenheit wird oft bemüht“, so Jermey Keenan, Professor an der Schule für orientalische und afrikanische Studien der Universität London. Dabei sei es nur eine Frage der Zeit, wann die Lage in Algerien explodiere. „Oder sagen wir so: Was muss noch alles passieren, bis sie explodiert“, meint der Algerien-Spezialist. „Korruption und Repression sind immens. Die Lebensbedingungen werden immer schlechter. Es fehlt nur noch der zündende Funke.“

Der Tod des kranken Präsidenten Bouteflika könnte ein derartiger Auslöser sein. Ein Machtkampf zwischen den verschiedenen Eliten könnte ausbrechen. „Schließlich wurde noch kein Nachfolger bestimmt“, betont Keenan. Bisher sei Said, der Bruder des Präsidenten, die treibende Kraft in der Regierung. „Er ist aber durch und durch korrupt.“ Er könne wohl kaum eine neue Führungsfigur werden. Die Armee, neben der Regierung die zweite große Macht im Land, sei wiederum „in einem katastrophalen Zustand“, befindet Keenan. „Gerade die normalen Soldaten sind völlig unzufrieden bei schlechter Behandlung und unglaublichen Missständen.“

Haft für unbequeme Denker

„Bisher ist es ein System der Angst, das die Rebellion verhindert.“ Jeder in Algerien wisse, dass Menschen jederzeit auf Nimmerwiedersehen verschwinden können. „Es findet eine Überwachung statt, die beispiellos ist“, so Keenan. Unbequeme Denker werden eingesperrt, wie der britisch-algerische Journalist Mohamed Tamalt. Er bekam eine zweijährige Haftstrafe für ein Gedicht auf Facebook, in dem Präsident Bouteflika kritisiert worden war. Im Gefängnis trat Tamalt als Protest gegen seine Inhaftierung in Hungerstreik. Im Dezember verstarb er unter seltsamen Umständen. „Amnesty International“ forderte eine unabhängige Untersuchung.

An eine Renaissance radikaler Islamisten glaubt Keenan nicht. „Es gibt sicherlich Jihadisten, aber nicht so viele, wie einem die algerische Regierung weismachen will.“

Die gegenwärtige Strategie Algeriens sei nicht nachhaltig, schrieb das American Enterprise Institute vor wenigen Tagen. „Der Westen muss sich auf die schwerwiegenden ökonomischen und sicherheitspolitischen Konsequenzen einstellen.“

Zu diesen Konsequenzen dürfte auch eine neue Flüchtlingswelle gehören. Sobald staatliche Strukturen zusammenbrechen, sagen die Erfahrungen in Libyen und Tunesien, ist die Zeit der Menschenschlepper gekommen. Sie werden von Algerien aus erneut Zehntausende von Flüchtlingen in völlig überfüllten, lebensgefährlichen Booten Richtung Europa schicken.

AUF EINEN BLICK

Die algerische Präsident Abdelaziz Bouteflika ist seit 1999 an der Macht. Seit mehreren Jahren gilt der 79-jährige Staatschef jedoch als schwer krank. Ein Tod Bouteflikas könnte der Auslöser für Chaos und Unruhen in dem nordafrikanischen Land sein. Die Bevölkerung ist unzufrieden über die massive Korruption und die repressive Herrschaft des Regimes. Die Jugendarbeitslosigkeit ist extrem hoch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2017)

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