Die Anti-Trumpisten formieren sich

Anti-Trump-Demonstranten.
Anti-Trump-Demonstranten.APA/AFP/DAVID MCNEW
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Entsteht in den USA eine linke Tea Party? Proteste in allen Wahlbezirken wenden sich gegen Präsident Trump und seine Partei. Doch der Furor von Links wird auch für die Demokraten zum Problem.

Und plötzlich sah Tom Cotton ziemlich alt aus. Der Irakkriegsveteran und Jungstar des rechten Flügels der Republikaner im US-Senat hatte zu einem Town Hall Meeting geladen, jener Standardübung amerikanischer Demokratie, bei der gewählte Politiker sich in einer Turnhalle oder einem Gemeindezentrum den Fragen ihrer Wähler stellen. Doch statt handverlesener Parteianhänger stand Cotton am vergangenen Mittwoch in der Mittelschule von Springdale, Arkansas, vor gut 2000 zornigen Bürgern, die ihr Kreuz ziemlich sicher nicht bei seinem Namen gemacht hatten. „Ich bin eine wütende Bürgerin“, rief eine Frau, ehe sie Cotton erklärte, dass ihr Ehemann im Sterben liege. „Sie stehen da und erwarten von uns, dass wir ruhig, kühl und gefasst sind. Nun, was für eine Krankenversicherung haben denn Sie selbst?“

Cotton tat das, was Politiker stets tun, wenn sie sich vor peinlichen Antworten drücken wollen: Er drückte sich vor einer peinlichen Antwort. Dasselbe tat er, als eine junge Frau ihm erklärte, ohne die Ausweitung der Krankenversicherung unter Präsident Barack Obama, die er nun abzuschaffen gelobt, werde sie am vererblichen Ehlers-Danlos-Syndrom, einer seltenen Bindegewebserkrankung, sterben. Und als ein siebenjähriger Bub ihn fragte, wieso er sein geliebtes Kinderprogramm in dem staatlich finanzierten Fernsehsender PBS streichen, dafür aber eine viel teurere Mauer an der mexikanischen Grenze bauen wolle, verlor Cotton die Nerven und machte vorzeitig Schluss.


Vom Feind gelernt.
Dieses Beispiel war kein Einzelfall. In allen Wahlkreisen sahen sich republikanische Kongressabgeordnete und Senatoren in der vergangenen, sitzungsfreien Woche mit lautstarken Protesten konfrontiert. Die von Präsident Donald Trump geplante Abschaffung von Obamacare, also der ausgeweiteten Krankenversicherung, erzürnte diese Demonstranten ebenso wie seine Angriffe auf Muslime, Mexikaner und andere Minderheiten. Besonders peinliche Momente erlebten mehrere Republikaner, als sie gefragt wurden, was sie als fromme Christen von Trumps Aussage hielten, als Star könne man sich alles mit den Frauen leisten, einschließlich des Griffs in die Schamregion.

Diese Welle öffentlichen Protests gleich zu Beginn der Amtszeit des neuen Präsidenten erinnert an den Aufstand der rechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung nach Barack Obamas Angelobung vor acht Jahren. Das ist kein Zufall. Denn obwohl der Widerstand gegen Trump und die republikanische Kongressmehrheit sich aus vielen Ecken der Bevölkerung speist, liegt ihm ein wohldurchdachtes Handbuch für wirksames direktes politisches Tun zugrunde. Eine Handvoll ehemaliger Assistenten demokratischer Kongressabgeordneter hat sich unter der Parole „Indivisible“ („Unteilbar“) aus dem Treueschwur auf die Nation zusammengeschlossen, um die Republikaner mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.

„Wir haben uns angeschaut, was die Tea-Party-Bewegung gemacht hat. Da gab es einiges zu lernen. Sie hat sich lokal engagiert und rein defensiv agiert“, sagt Gonzalo Martínez de Vedi an einem frühlingshaften Februarabend in Washington im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Der 29-Jährige kam als Kind aus Argentinien in die USA, er hat an der Cornell University studiert und arbeitet für eine Hilfsorganisation, die sich um die Opfer von Menschenhandel kümmert. In seiner Freizeit engagiert er sich nun für Indivisible, vorerst ehrenamtlich. „Das ist nicht herkömmliche Politik. Viele von uns in der fortschrittlichen Bewegung sehen diese Regierung als autoritäre Bedrohung für unsere Demokratie. Wenn es um so viel geht wie heute, ist politische Apathie keine Option.“

Was also ist der Schlachtplan, den Indivisible auf 26 Seiten online für jedermann zur Verfügung stellt? Erstens: Informiert euch. Findet heraus, welche Positionen eure jeweiligen Kongressmitglieder vertreten. Aktiviert einen Google News Alert, um jedes Mal informiert zu werden, wenn euer Senator oder Kongressabgeordneter für Schlagzeilen sorgt. Zweitens: Organisiert euch. Schließt euch mit anderen Gleichgesinnten zusammen und konzentriert euch auf zwei Prinzipien: Donald Trumps Agenda wird Amerika zurückwerfen, und sie muss aufgehalten werden; um gemeinsam dieses Ziel zu erreichen, müssen wir die Werte der Einbeziehung, Toleranz und Fairness hochhalten. All diese Vorbereitung solle drittens in folgendes Verhalten der Indivisible-Aktivisten während öffentlicher Veranstaltungen münden, sagt Martínez de Vedi: „Seid höflich, aber nachdrücklich – und haltet so lange am Mikrofon fest, bis eure Fragen zufriedenstellend beantwortet sind.“

In kurzer Zeit hat Indivisible auf diese Weise ein landesweites Netz an Aktivisten geschaffen und viele Menschen, die das politische Geschehen bisher nur von den Zuschauerbänken verfolgt haben, erstmals in ihrem Leben zu eigenem Tun motiviert. „Mehr als 13 Millionen Menschen haben unsere Website besucht, landesweit haben sich bereits mehr als 7000 Indivisible-Gruppen registriert, in allen Kongressbezirken“, sagt Martínez de Vedi. Und die Proteste gehen dem Präsidenten und seinem Team im Weißen Haus offensichtlich unter die Haut. Trump selbst bezichtigte die Aktivisten, von reichen demokratischen Gönnern bezahlt zu werden. Sein Sprecher Sean Spicer hängte ihnen jenes Etikett um, mit denen die Demokraten die Glaubwürdigkeit der Tea Party als Graswurzelorganisation infrage stellten: „Astroturf“, also Kunstrasen.


Feuerwehr gegen Trump.
Ist Indivisible bloß eine Truppe bezahlter Berufsdemonstranten? Martínez de Vedi schüttelt den Kopf: „Das zeigt nur, wie wenig Ahnung diese republikanischen Politiker von ihren Bürgern haben. Diese Anschuldigung ist lachhaft, und sie verheißt nichts Gutes für ihre eigene Partei.“ Bei vielen Town Hall Meetings trugen Demonstranten gut lesbare Aufkleber mit ihrer Postleitzahl auf ihrer Kleidung, um zu signalisieren, dass sie tatsächlich aus dem jeweiligen Wahlkreis kommen und nicht von außerhalb herangekarrt wurden.

Das Ziel seiner Organisation sei eng umschrieben, sagt Martínez de Vedi: „Wir sind in der Opposition und müssen keine Agenda vorgeben. Es reicht, wenn wir einen Schulterschluss machen und einfach nein sagen. Indivisible ist die Feuerwehr, die herbeieilt, um das brennende Haus zu löschen.“

Auch anderswo in der Gesellschaft regt sich basisdemokratischer Widerstand gegen Trumps Agenda. Am 22. April, dem weltweiten Tag der Erde, werden besorgte Forscher in Washington einen Marsch für die Wissenschaft veranstalten. „Es gibt so eine altmodische Ansicht, derzufolge Wissenschaftler sich aus politischen Fragen heraushalten sollten. Ich halte das für falsch. Sich zu Wort zu melden beeinträchtigt nicht die Fähigkeit, gute Wissenschaft zu betreiben“, sagt der Ozeanologe Andrew Rosenberg von der Union of Concerned Scientists. „Ich hoffe, der Marsch wird die Leute davon überzeugen, dass sie nicht allein sind mit ihrer Sorge angesichts dessen, was Trump tut.“


Sanders' stille Machtergreifung.
Die neue Welle an bürgerlicher Selbstermächtigung stellt die Demokraten jedoch vor dasselbe Problem, mit dem die Republikaner angesichts des Furors der Tea Party rangen. Radikale Aktivisten drohen gemäßigten Amtsinhabern mit parteiinterner Konkurrenz vor den Kongresswahlen im kommenden Jahr. „Es gibt bedenkliche Anzeichen dafür, dass die Spitze der Demokraten im Kongress bereit ist, mit Trump punktuell zusammenzuarbeiten“, warnt Martínez de Vedi. Das sei jedoch für Indivisible tabu: „Jedes Anzeichen der Zusammenarbeit mit der Trump-Regierung ist illegitime Absprache.“

Das bereitete jenen zehn demokratischen Senatoren enorme Sorgen, die 2018 in Staaten um ihre Wiederwahl zittern müssen, wo Trump im November große Mehrheiten errang. Die Anhänger von Bernie Sanders, dem linken Senator und verhinderten Präsidentschaftskandidaten, haben in obskuren Parteiabstimmungen, an denen oft nur ein paar Dutzend Mitglieder teilnehmen, bereits wichtige Posten in den demokratischen Parteistrukturen von Nebraska, Michigan, Florida, Washington State und Hawaii übernommen.

Der damit verbundene Linksruck verringert jedoch die Chancen der Partei, ihren historischen Tiefstand an gewählten Ämtern (bis hinauf zur Präsidentschaft im Jahr 2020) zu verbessern. Generell beäugen die politischen Profis in der Partei das neue basisdemokratische Engagement der Art von Indivisible skeptisch: „Es ist immer gut, wenn Leute beginnen, sich politisch zu engagieren“, sagte ein früherer Mitarbeiter im politischen Stab im Weißen Haus Barack Obamas zur „Presse am Sonntag“. „Aber die Crux ist jetzt dieselbe wie damals für die Tea Party: Irgendwann reicht es nicht, nur dagegen zu sein. Man muss darstellen können, was man konkret erreichen will.“

Daten

Absturz. Seit Barack Obama 2009 Präsident wurde, haben die Demokraten landesweit rund 1000 Mandate verloren. In 25 Staaten kontrollieren die Republikaner alle gewählten Ämter. Die Demokraten sind so geschwächt wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Widerstand. Trumps Wahlsieg, bei dem er US-weit knapp drei Millionen weniger Stimmen erhielt als seine demokratische Gegnerin, Hillary Clinton, hat eine basisdemokratische Bürgerbewegung ins Leben gerufen. Ehemalige Mitarbeiter demokratischer Kongressabgeordneter haben unter der Parole „Indivisible“ einen Leitfaden für wirksame Opposition erstellt. Dieses Papier hat binnen weniger Wochen großes Interesse geweckt: 13 Millionen Mal wurde es im Internet heruntergeladen, rund 7000 lokale Indivisible-Gruppen sind bereits entstanden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2017)

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