Die Beziehungskrise zwischen der Türkei und Deutschland eskaliert

Justizminister Bozdag sagte ein Treffen mit Heiko Maas ab.
Justizminister Bozdag sagte ein Treffen mit Heiko Maas ab.(c) REUTERS (Umit Bektas / Reuters)
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Zwei deutsche Städte sagten Kundgebungen türkischer Minister ab. Auftrittsverbot für Erdoğan gefordert.

Wien/Berlin. „Wer sein Vaterland liebt, sagt ja.“ So lautete die von rund 10.000 Anhängern umjubelte Losung, als Premier Binali Yidirim vor knapp zwei Wochen in der Arena Oberhausen im Ruhrgebiet für das Verfassungsreferendum in der Türkei Mitte April warb, die das Land nach der Vorstellung Recep Tayyip Erdoğans in eine Präsidialrepublik umwandeln soll. In der Halle wogte ein Meer aus roten Fahnen mit Halbmond und Stern. Die Kundgebung, zu der der türkische Premier im Anschluss an die Münchner Sicherheitskonferenz reiste, sollte der Auftakt sein für eine Reihe von Auftritten türkischer Spitzenpolitiker in Deutschland.

Eine Rede des Präsidenten vor der türkischen Diaspora, für Ende März anvisiert, war als Höhepunkt programmiert. Ob in Köln, Düsseldorf oder Karlsruhe: Vor Wahlen hatte Erdoğan bereits mehrmals Wahlkampf in Deutschland für seine national-konservative AKP gemacht – und unumstritten war dies selten. Noch gibt es zwar keinen konkreten Termin für den Erdoğan-Auftritt, doch angesichts der jüngsten diplomatischen Eskalationsspirale im Zuge der Affäre um die Untersuchungshaft des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel erscheint dies immer unwahrscheinlicher. Immer vehementer fordern deutsche Politiker jeder Couleur als Zeichen des Protests ein Verbot für eine Erdoğan-Kundgebung und manche gar ein Einreiseverbot für den Präsidenten.

Revanche-Akt Ankaras

Am Donnerstag erreichten die Beziehungen zwischen Berlin und Ankara nach der vorjährigen Affäre um den deutschen Satiriker Jan Böhmermann einen neuerlichen Tiefpunkt, als binnen weniger Stunden gleich zwei Städte die Versammlungen der Erdoğan-nahen Union europäisch-türkischer Demokraten (UETD) aus formalen Gründen kurzerhand strichen. In Gaggenau in Baden-Württemberg wollte heute Abend Justizminister Bekir Bozdag für das Referendum in der Türkei werben, in Köln war am Sonntag eine Veranstaltung mit Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci angesetzt. Gaggenau sagte die Kundgebung wegen mangelnder Kapazitäten und fehlender Parkplätze ab, was wie ein Vorwand anmuten muss.

Bozdag reagierte entrüstet und sagte ein Treffen mit Heiko Maas (SPD, seinem Widerpart, ab. Dass Maas seinem Amtskollegen ins Gewissen geredet hätte, gilt indes als sicher. Vor dem Hintergrund der Yücel-Affäre hat er jüngst die Parole ausgegeben, die „Zeit der leisen Töne“ müsse vorbei sein. Auch Außenminister Sigmar Gabriel gab nach der Entscheidung der Justiz in Istanbul, den „Welt“-Korrespondenten in Untersuchungshaft zu nehmen, die bisherige diplomatische Zurückhaltung auf. Er mahnte die Gesprächsbereitschaft der türkischen Minister ein, am Dienstag hatte er zudem den türkischen Botschafter in Berlin ins Außenministerium zitiert. Und selbst Angela Merkel sprach sich zuletzt dezidiert für eine Freilassung Yücels aus. Bei ihrem Besuch in der Türkei Anfang Februar hatte die Kanzlerin die Prinzipien des Rechtsstaats eingefordert. Kurz darauf nahm der Fall Yücel seinen Lauf.

„Was derzeit in der Türkei passiert, weckt erhebliche Zweifel, ob die Türkei ein Rechtsstaat bleiben will“, sagte Bundespräsident Joachim Gauck neulich. Er hat sich gegenüber Erdoğan ohnehin nie ein Blatt vor den Mund genommen. Mit seiner offenen Kritik während eines Türkei-Besuchs sorgte er 2014 für einen mittleren Eklat.

In Nordrhein-Westfalen äußerte sich Justizminister Ralf Jäger scharf: „Die Freiheit der Meinungsäußerung hier darf nicht missbraucht werden, um für eine Verfassungsänderung in der Türkei zu werben, mit der Grundrechte eingeschränkt und die Todesstrafe wieder eingeführt werden sollen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2017)

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