Turbulenzen zwischen Berlin und Ankara

Türkische Wahlkampfveranstaltung in Deutschland
Türkische Wahlkampfveranstaltung in DeutschlandAPA/AFP/SASCHA SCHUERMANN
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Türkische Minister konnten in zwei deutschen Städten nicht auftreten. Die AKP schäumt und wirft Deutschland gar „faschistisches Vorgehen“ vor. Der Fall Deniz Yücel sorgt weiterhin für eisige Stimmung auf diplomatischer Ebene.

Es war eine turbulente Woche für die deutsch-türkische Freundschaft. Die baden-württembergische Stadt Gaggenau sagte aufgrund von Sicherheitsbedenken eine Veranstaltung mit dem türkischen Justizminister Bekir Bozdağ ab. Der Betreiber einer Halle in Frechen bei Köln gab kurzfristig bekannt, dass die Räume für einen Auftritt des Wirtschaftsministers Nihat Zeybekçi nicht zur Verfügung stünden. Die regierende AKP schäumt ob dieser Absagen, Bozdağ sagte aus Protest ein Treffen mit seinem Amtskollegen Heiko Maas ab. Deutschland warf dem türkischen Justizminister vor, Menschenrechte mit Füßen zu treten, Maas sprach gar von einem „faschistischen Vorgehen“. Und Präsident Recep Tayyip Erdoğan beklagte, dass im Gegensatz zu seinen Ministern die Vertreter von terroristischen Organisationen wie die PKK frei in Deutschland auftreten dürften.

Die türkischen Minister wollten in Deutschland für ein „Ja“ werben. Am 16. April entscheiden die Türken per Referendum über eine Verfassungsänderung, die den Präsidenten mit weitreichenden Machtbefugnissen ausstatten würde. In Deutschland leben rund 1,5 Millionen türkische Staatsbürger. Die kommunalen Absagen der Auftritte hatten zur Folge, dass der deutsche Botschafter ins Ankaraner Außenministerium zitiert wurde. Es sei ein ernstes, aber freundliches Gespräch gewesen, so der Berliner Außenamtssprecher Martin Schäfer. Unterdessen warb SPD-Fraktionschef für mehr Toleranz, wiewohl es naheliege, propagandistische Veranstaltungen verhindern zu wollen: „Wenn wir Meinungsfreiheit ernst nehmen, dürfen wir nicht Gleiches mit Gleichem vergelten.“ Medienberichten zufolge werden sich kommenden Mittwoch die Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu und Sigmar Gabriel zu Gesprächen in Deutschland treffen. Derweil soll ein Auftritt des Wirtschaftsministers Zeybekçi in Leverkusen am heutigen Sonntag wie geplant stattfinden. Am Samstag bereits haben die Regierungschefs Binali Yıldırım und Angela Merkel über die aktuellen Themen telefoniert, das Gespräch war Yıldırım zufolge „gut und produktiv“.

Allerdings ist der türkische Wahlkampf auf deutschem Boden nur eine bilaterale Baustelle. Berlin hat Anfang dieser Woche den türkischen Botschafter ins Außenamt zitiert, Grund war die Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel in Istanbul. Der „Welt“-Korrespondent ist zwei Wochen nach seiner Festnahme dem Richter vorgeführt worden, der über die U-Haft entschied. Nun meldete sich der türkische Präsident persönlich zu seinem Fall: Yücel sei ein deutscher Agent und Mitglied der PKK, so Erdoğan bei einer Rede in Istanbul. Daher habe sich der Journalist einen Monat lang im deutschen Konsulat versteckt, ehe er sich den Behörden stellte. Berlin weist die Vorwürfe als „abwegig“ zurück. Yücel hat in der Vergangenheit Interviews mit PKK-Vertretern wie Cemil Bayık geführt. Dies legen ihm die Behörden offenbar zur Last und legen ein Zeitungsinterview als Terrorunterstützung aus.


Film sorgt für Wirbel. Türkische Wahlkampfauftritte sind nicht nur in Deutschland ein heiß diskutiertes Thema, zumal die autoritären Tendenzen in der AKP immer mehr zunehmen. Den Haag hat einen Auftritt des Außenministers Çavuşoğlu am 11. März in Rotterdam untersagt. Die Niederlande seien nicht der Ort für den Wahlkampf anderer Länder, schrieb Ministerpräsident Mark Rutte auf Facebook. Çavuşoğlu hält jedoch an seinem Auftritt fest. Er mahnte Meinungs- und Versammlungsfreiheit ein und sagte: „Keiner kann sich uns in den Weg stellen.“ Den Haag wiederum kündigte an, mit rechtlichen Schritten gegen den Auftritt vorgehen zu wollen.

Vorsorglich ließ Außenminister Sebastian Kurz Richtung Ankara verlauten, dass Wahlkampfauftritte Erdoğans in Österreich nicht erwünscht seien. Ob es überhaupt derartige Pläne gibt, ist nicht bekannt. In der Community werden jedoch Auftritte einzelner AKP-Unterstützer beworben, so soll am heutigen Sonntag der ehemalige Politiker Şevki Yılmaz im Wiener Verein Wonder für ein „Ja“ bei dem Referendum werben. Unterdessen sorgt der Film „Reis“ über den politischen Werdegang Erdoğans für Wirbel in Vorarlberg. Die Alevitische Glaubensgemeinschaft beschwerte sich über den propagandistischen Inhalt und darüber, dass der Film in Vorarlberg angelaufen sei. Landeshauptmann Markus Wallner schloss sich der Kritik an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2017)

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