Ungarn: Grenzbeamte machen Selfies mit verprügelten Flüchtlingen

Ungarische Polizisten patrouillieren an der ungarisch-serbischen Grenze.
Ungarische Polizisten patrouillieren an der ungarisch-serbischen Grenze.REUTERS
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Polizisten an der serbisch-ungarischen Grenze behandelten Migranten wie Tiere, berichtet ein Pakistani. Ungarns Regierung weist die Vorwürfe zurück.

Das eine Mal als Shahid Khan versuchte, über den schwer bewachten, mit Stacheldraht versehenen Zaun an der ungarisch-serbischen Grenze in die Europäische Union zu gelangen, wurde er von Grenzbeamten geschnappt, geschlagen und von ungarischen Polizeihunden weg gejagt. "Als sie uns schlugen, lachten sie", erzählt der 22 Jahre alte Pakistani der Nachrichtenagentur AFP. Dann hätten die Polizisten Selfies mit ihm und den anderen Flüchtlingen gemacht.

Der zweite Zaun an der Grenze zu Serbien, der parallel zu der bereits bestehenden Grenzsperre gebaut werden soll, werde ihm das Leben noch schwerer machen, meint Khan. "Sie behandeln uns sehr schlecht. Sie behandeln uns wie Tiere, aber wir sind Menschen."

Ein rund zehn Kilometer langes Stück des Zaunes wurde probeweise bereits errichtet. "Achtung, Achtung. Ich warne Sie, dass Sie an der ungarischen Grenze angelangt sind", tönt es aus Lautsprechern an der Barriere auf Englisch, Arabisch und Farsi. "Wenn Sie den Zaun zerstören, die Grenze illegal überschreiten oder versuchen zu übertreten, gilt das in Ungarn als Verbrechen."

NGO sprechen von Hunderten Fällen

Khan ist mit seinen Erlebnissen nicht alleine. Schon in der Vergangenheit hatten Menschenrechtsorganisationen den Umgang ungarischer Beamter mit Flüchtlingen kritisiert. Seit dem Frühjahr 2016 sollen 500 Migranten misshandelt worden sein, erklärt Gabor Gyulai vom ungarischen Helsinki-Komittee der APA unter Berufung auf Partnerorganisationen. Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, Human Rights Watch, Amnesty International, aber auch das UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR hatten über Misshandlungen von Migranten berichtet.

"Alle großen Organisationen der Welt haben ihre Stimme erhoben, das gleiche Problem angeschnitten, von Hunderten Menschen gesprochen, die alle von ihren Misshandlungen berichtet hatten, die Verletzungen aufwiesen", betonte Gyulai, Programmleiter für Flüchtlingswesen bei der Menschenrechtsorganisation. Wären es Einzelfälle gewesen, dann könnte man an der Richtigkeit der Behauptungen zweifeln. "Doch wenn Hunderte von Flüchtlingen über Monate hinweg, unabhängig voneinander das Gleiche berichten, dann entsprechen diese Behauptungen mit Sicherheit der Wahrheit," so Gyulai.

Das Hauptproblem dafür bestehe laut Gyulai darin, dass im Falle von in Ungarn misshandelten Migranten das Opfer nicht mehr da ist, sondern inzwischen nach Serbien zurückgedrängt wurde, wo es erst einige Tage später in Kontakt mit einem Arzt komme. Wunden würden inzwischen heilen, seien schwerer dokumentierbar. "So ist eine Tat schwer nachzuweisen. Das wissen die Gewalttäter, die diese Situation ausnutzen."

Budapest: "Das sind alles Fabeleien"

Die ungarische Regierung wies die Berichte am Montag zurück. "Es kommt wieder ein EU-Gipfel", sagte Regierungssprecher Zoltan Kovacs dazu in Wien vor Journalisten. Er führte das Timing der Berichte darauf zurück. "Das sind alles Fabeleien. Die NGOs sagen ja selbst, dass sie diese Geschichten nicht verifizieren können." An der Grenze "gibt es außerdem überall Kameras, internationale Einsatzkräfte...", meinte er und implizierte damit, unter diesen Umständen könnten die Polizisten gar nicht gewalttätig handeln.

Kovacs wies weiters darauf hin, dass die angeblich misshandelten Flüchtlinge gar nicht an der Grenze, sondern in der serbischen Hauptstadt Belgrad vom brutalen Vorgehen der ungarischen Polizei erzählt hätten. Es sei daher nicht einmal klar, ob sie wirklich in Ungarn gewesen sind, so der Sprecher. Die ungarische Staatsanwaltschaft würde konkrete Fälle sehr wohl untersuchen, bisher seien es jedoch lediglich acht gewesen. In den sechs bisher abgeschlossenen Untersuchungen hätten sich die Vorwürfe allerdings "als unbegründet herausgestellt".

Wärmesensoren und Elektroschocks an Zaun

Ungarn hat bereits im Herbst 2015, als täglich tausende Flüchtlinge das Land Richtung Österreich und Deutschland durchquerten, seine Südgrenze zu Serbien mit einem Grenzzaun abgeriegelt und harte Strafen für illegalen Grenzübertritt eingeführt. Nun soll der Zaun an der Schengen-Außengrenze auf der gesamten Länge von 175 Kilometern verstärkt werden. Die Bauarbeiten sollen bis Anfang Mai abgeschlossen sein.

Die Sicherheitsvorkehrungen sind hoch: An manchen Stellen ist der neue Wall mit Kameras, Bewegungs- und Wärmesensoren versehen. Auch elektrische Schocks soll der neue Zaun abgeben. Zwischen ihm und der alten Absperrung wird es Polizeipatrouillen geben.

Die Regierung will 38 Milliarden Forint (123,14 Mio. Euro) für die zusätzlichen Grenzschutzmaßnahmen bereit. Aus diesem Geld sollen auch die "Transitzonen" an der Grenze erweitert werden. Die Regierung plant nämlich auch eine Verschärfung des Vorgehens gegen aufgegriffene Asylbewerber. Diese werden demnach ihr gesamtes Asylverfahren in diesen Zonen an der Grenze abwarten müssen. Auch "verletzliche Gruppen" wie Familien mit kleinen Kindern, Kranke oder unbegleitete Minderjährige sollen davon nicht mehr ausgenommen sein.

Obwohl durch die Grenzschließung deutlich weniger Migranten ins Land kommen, werden in Ungarn im Grenzgebiet weiterhin jede Woche rund 300 Flüchtlinge aufgegriffen. In Serbien sind durch die Schließung der sogenannten Balkanroute Tausende gestrandet, viele versuchen mithilfe von Schleppern weiter Richtung EU zu kommen.

(APA/red.)

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Themenbild: Stacheldraht zwischen Ungarn und Serbien.
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