Im Zweifel gegen das „System“, die Europäische Union und den Euro

François Hollande
François HollandeAPA/AFP/THIERRY CHARLIER
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Drei Viertel der wahlberechtigten Franzosen halten einen Austritt aus dem Euro für eine Katastrophe. Dennoch haben bei der Präsidentenwahl EU-Skeptiker wie die Rechtspopulistin Marine Le Pen enormen Zulauf.

Paris. Staatspräsident François Hollande macht sich Sorgen über den Präsidentschaftswahlkampf. Er schließt einen Sieg der Rechtspopulistin Marine Le Pen nicht mehr aus. Auch hat er sich über das bedenklich tiefe Niveau der gegenwärtigen Wahldebatte in Frankreich beklagt. Statt über Programme und Erneuerungspläne werde über Affären oder simple Gerüchte diskutiert.

Daran ist Hollande freilich selbst nicht unschuldig. Denn da er sich nicht der Wiederwahl stellt – eine Premiere in der Fünften Republik – ist auch seine Bilanz nicht die Grundlage einer seriösen Auseinandersetzung. Dennoch stellt die Wahl des Staatschefs die wichtigste politische Weichenstellung dar. Er bestimmt die Regierungspolitik und ist zugleich oberster Chef der Streitkräfte. Die Verfassung ermöglicht es ihm, die Nationalversammlung (deren Abgeordnete im Juni gewählt werden) aufzulösen oder in Krisenzeiten mit Vollmachten zu regieren.

Das allein wäre also schon Grund genug für die 47 Millionen Wahlberechtigten, lieber zwei- oder dreimal zu überdenken, wen sie nach den zwei Wahlrunden am 23. April und 7. Mai für fünf Jahre mit einer derartigen Machtfülle ausstatten wollen. Anscheinend überlegen sie sich das 2017 tatsächlich besonders lang, denn die Hälfte der Befragten erklären den Meinungsforschern, sie wüssten (noch) nicht, wem sie ihre Stimme geben. Es wird erwartet, dass die Zahl der Nichtwähler einen neuen Rekordstand erreicht.

Für die andere Hälfte der Wähler ist alles längst entschieden. Und dies oft weniger, weil sie mit einem Wahlprogramm völlig einverstanden sind, sondern weil viele von ihnen an der Wahlurne ihr Misstrauen oder ihren Ärger über die bisher abwechselnd regierenden traditionellen Parteien loswerden wollen. Selbst die Kandidaten der großen Parteien verkaufen sich deshalb als Kritiker des „Systems“. Das gilt für den Konservativen François Fillon wie für Hollandes Ex-Berater und Wirtschaftsminister Emmanuel Macron oder den Sozialisten Benoît Hamon. Jeder beansprucht für sich, als „Alternative“ mindestens ebenso außerhalb des politischen Establishments zu stehen wie Le Pen oder der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon.

Europa als Sündenbock

Zu den wohlfeilen Sündenböcken, die sich in der Wahlpropaganda anbieten, gehören die EU und der Euro. Obwohl laut einer kürzlichen Befragung drei Viertel der Franzosen meinen, ein Austritt aus der Gemeinschaftswährung hätte katastrophale Folgen für ihre Volkswirtschaft, haben die EU-Kritiker und Euro-Gegner einen massiven Zulauf. Zusammengezählt könnten dieses Mal die Stimmen für diese der EU ablehnend oder zumindest sehr kritisch gegenüberstehenden Kandidaten mehr als die Hälfte ausmachen. Obwohl eine klare Mehrheit keinen Austritt aus der EU wünscht, geht in Frankreich das Gespenst namens Frexit um. Nicht nur Marine Le Pen will eine Volksabstimmung nach dem britischen Vorbild des Brexit. Auch im Ausland kaum bekannte Kandidaten wie die beiden Souveränisten Nicolas Dupont-Aignan („La France debout“) und François Asselineau („Union populaire républicaine“) sowie auch andere Kandidaten der radikalen Linken verteufeln die EU. Diese Außenseiter sorgen nicht nur für ein bisschen Farbe. Sie machen deutlich, dass diese Wahlen längst nicht auf das Spitzentrio Le Pen/Macron/Fillon reduziert werden können, die in den Umfragen führen – Macron und Le Pen mit jeweils 26 Prozent, Fillon mit 20 Prozent dahinter.

Wer bei der französischen Präsidentenwahl kandidieren will, muss mindestens 18 Jahre alt, stimm- und wahlberechtigt sein. Wie die Polemik um die laufenden Ermittlungen gegen Le Pen vom Front National und gegen den Konservativen Fillon belegen, braucht es nicht unbedingt eine lupenreine Weste. Doch muss jede Kandidatur von mindestens 500 Unterschriften von gewählten Volksvertretern (Bürgermeister, Parlamentarier, Mitglieder der regionalen Versammlungen) aus 30 verschiedenen Départements vor dem 17. März beglaubigt werden. Dass Kandidaten wie Dupont-Aignan, Asselineau oder die Trotzkistin Nathalie Arthaud („Lutte Ouvrière“) die Hürde offenbar bereits problemlos geschafft haben, kann erstaunen. Viele Bürgermeister, die ihnen ihre „Patenschaft“ gewährt haben, geben an, sie seien nicht gleicher Meinung – doch sie wollten, dass diese politischen Querschläger zu Wort kommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2017)

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