Zwei-Prozent-Frage: Warum Deutschland nun aufrüsten wird

Von der Leyen will Nato-„Aktivitätsindex“.
Von der Leyen will Nato-„Aktivitätsindex“.(c) REUTERS (Mary Calvert / Reuters)
  • Drucken

Die Kanzlerin hat Trump vor ihrem Abflug ausführlich studiert – und ein Zugeständnis gemacht.

Berlin. Als Angela Merkels Flug über den Atlantik beginnt, lässt ihre Verteidigungsministerin, Ursula von der Leyen, in Berlin den Testballon steigen. Sie startet eine Diskussion. Es geht um die umstrittene Verpflichtung, wonach alle Nato-Staaten bis 2024 zwei Prozent des BIPs für Verteidigungsausgaben ausgebe sollen. US-Präsident Donald Trump ist das sehr wichtig und Deutschland davon mit 1,2 Prozent des BIPs meilenweit entfernt. Von der Leyen erneuerte zwar gestern das Bekenntnis zum Zwei-Prozent-Ziel. Das sei ein Gebot der Fairness, und die Bundeswehr brauche ohnehin einen Modernisierungsschub. Aber sie hätte da eine Ergänzung. Herzstück des Vorschlags ist ein „Aktivitätsindex“, der die Beteiligung an Nato-Einsatzen ausweist, also am „operativen Beitrag“.

Es wäre eine schmeichelhafte Statistik für Deutschland, das derzeit von Kosovo bis Afghanistan Soldaten stationiert hat und seit Februar ein Nato-Bataillon in Litauen anführt. Ein solcher Index wäre auch ein kleines Argument in den Verhandlungen mit Trump, der auch künftig auf eine rasche Erhöhung der Verteidigungsausgaben drängen wird. Das weiß Merkel. Sie hat in den vergangenen Wochen Donald Trump studiert. Nach außen hin hielt sie sich zurück, kein richtig böses Wort kam Merkel über die Lippen.

Merkel und der „Playboy“

Als Trump die „katastrophalen Fehler“ der Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik anprangert, lässt sie das über sich ergehen. Nur zwei Mal erlaubt sie sich sanfte Kritik, das erste Mal, als sie in ihren unterkühlten Glückwünschen den Wahlsieger Trump an demokratische Grundwerte erinnert, und dann noch einmal nach dem US-Einwanderungsverbot für ausgewählte muslimische Länder. Sonst wird weiterrecherchiert. Irgendwann soll ihr dabei Berichten zufolge auch „Der Playboy“ in die Hände gefallen sein.Die Märzausgabe des Jahres 1990, in der ein New Yorker Milliardär namens Trump seine Sicht auf die Welt ausbreitet: „Ich glaube, dass unser Land mehr ,Ego‘ braucht, denn es wird sehr stark von unseren sogenannten Alliierten ausgenutzt“, darunter von „Westdeutschland“. Spätestens jetzt muss Merkel klar sein, dass Trump mit seiner Kritik an den Nato-Alliierten nicht aus einer Laune heraus handelt, sondern dass sein Deutschland-Bild schon vor mindestens 27 Jahren gereift ist. Dann nannte Trump die Nato auch noch „obsolet“. In diesen Tagen weiß niemand, ob der Präsident an der Bündnispflicht festhält. Zu Ende gedacht steht Deutschlands nationale Sicherheit auf dem Spiel, die sich als Ultima Ratio eben auch auf US-Atomwaffen stützt. Eine hitzige Sicherheitsdebatte entbrennt. Sie gipfelt in ersten Leitartikeln und Gastkommentaren, die eine deutsche Atombombe fordern – oder zumindest eine europäische Lösung. Ersteres ist zwar illusorisch, aber dass „Deutschland das Undenkbare denkt“ („Financial Times“), zeigt schon den Pegel der Erregung an.

Es sind ungewisse Tage. Bis zum Frieden von München. Bei der Sicherheitskonferenz schwört Vizepräsident Mike Pence der Nato die Treue. Aber die Sache mit dem Geld meine man durchaus ernst. Und Merkel gibt ein neues Bekenntnis zum Zwei-Prozent-Ziel ab. Es wäre eine Herkulesaufgabe. Zwar hat von der Leyen schon vor Trumps Wahl die größte Aufrüstung seit der Wiedervereinigung angekündigt, bis 2030 sollen rund 130 Mrd. Euro zusätzlich in die Verteidigung fließen. Also neun Milliarden pro Jahr. Um das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen, müsste Deutschland aber deutlich mehr Geld in die Hand nehmen, 25 bis 30 Mrd. Euro jährlich. Europas wirtschaftlicher Koloss würde zur größten konventionellen Militärmacht des Kontinents aufstiegen. Die Zwei-Prozent-Frage treibt Streit in der Koalition. SPD-Außenminister Sigmar Gabriel ist strikt dagegen und nennt seine Ministerkollegin von der Leyen „naiv“. Gabriel will die Zahlen stattdessen aufhübschen, indem die Ausgaben für Entwicklungshilfe eingepreist werden. Es ist fraglich, ob das Trump beeindruckt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.