Syrien: So sieht Russland den Chemiewaffen-Angriff

Das bombardierte Spital in Khan Sheikhoun.
Das bombardierte Spital in Khan Sheikhoun.(c) AFP (OMAR HAJ KADOUR)
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Die USA, Großbritannien und Frankreich wollen eine Verurteilung Syriens im UN-Sicherheitsrat. Assads Luftwaffe habe ein Chemiewaffenlager der Rebellen bombardiert, sagt indes das russische Verteidigungsministerium.

Nach dem schweren Giftgasangriff in Syrien - mittlerweile ist von 72 Todesopfern, darunter 20 Kinder, die Rede - erhöhen die USA den Druck auf Russland und den Iran. Die beiden Verbündeten Syriens hätten eine "große moralische Verantwortung" für die Toten, erklärte US-Außenminister Rex Tillerson am Dienstag in Washington. Die Westmächte USA, Großbritannien und Frankreich brachten indes einen Resolutionsentwurf zur Verurteilung Syriens im UN-Sicherheitsrat ein.

"Es ist klar, wie Assad operiert: mit brutaler, unverfrorener Barbarei", betonte Tillerson. Moskau und Teheran sollten ihren Einfluss auf die syrische Führung geltend machen und "garantieren, dass so ein schrecklicher Angriff nie wieder passiert". Tatsächlich lieferte Russland aber in der Nacht auf Mittwoch eine Art Alibi für das syrische Regime. Die syrische Luftwaffe habe in Khan Sheikhoun ein großes Munitionslager von Rebellen bombardiert, in dem sich auch chemische Kampfstoffe befunden hätten, teilte das russische Verteidigungsministerium unter Berufung auf eigene Luftraumbeobachtungssysteme mit.

Wegen des Giftgasangriffs mit 58 Toten kommt der UN-Sicherheitsrat am Mittwoch zu einer Sondersitzung zusammen. Im Resolutionsentwurf der drei westlichen Vetomächte wird eine internationale Untersuchung des Angriffs gefordert. Syrien solle Flugpläne und Logbücher vorlegen und die Namen der Helikopter-Kommandanten nennen. Zudem soll Ermittlern Zugang zu Luftwaffenstützpunkten gewährt werden, von denen aus die Angriffe gestarten worden sein könnten. Zudem soll UN-Generalsekretär Antonio Guterres monatlich darüber Bericht erstatten, ob Syrien mit den internationalen Waffenkontrolloren kooperiert. Die Vereinten Nationen kündigten eine Untersuchung an. Der UN-Sicherheitsrat wollte am Mittwoch zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen. 

Russlands Veto im UN-Sicherheitsrat

Die Internationale Gemeinschaft sei "empört darüber, dass wiederholt Menschen in Syrien durch Chemiewaffen getötet und verletzt würden", heißt es in dem Entwurf. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Beobachter rechnen damit, dass Russland eine Annahme der Resolution durch Einsatz seines Vetorechts im höchsten UN-Gremium verhindern wird. Moskau hat mehrmals eine Verurteilung des Assad-Regimes durch den UN-Sicherheitsrat vereitelt. Die Vereinten Nationen kündigten eine Untersuchung an. Der UN-Sicherheitsrat wollte am Mittwoch auf Antrag Frankreichs und Großbritanniens zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen. 

Mehrere Stellen machten die Assad-Regierung verantwortlich. Die Rettungshelfer der Organisation Weißhelme berichteten sogar von 240 Verletzten. Die Hilfsorganisation Union of Medical Care and Relief Organizations (UOSSM) sprach von 100 Toten und 400 Verletzten.

Aus US-Sicherheitskreisen verlautete, es sei "fast sicher", dass der Angriff von Assad-Truppen durchgeführt worden sei. Das Weiße Haus sprach von "abscheulichen Handlungen des Regimes".

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel verurteilte "den offensichtlichen C-Waffenangriff". "Solche Kriegsverbrechen müssen bestraft werden", zitierte Regierungssprecher Steffen Seibert die Kanzlerin auf Twitter. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) forderte auf Twitter eine umfassende Untersuchung des Angriffs und eine Bestrafung der Täter.

Syrien: Kein Giftgas eingesetzt

Die Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) zeigte sich zutiefst besorgt. Experten der OPCW sammelten und analysierten zur Zeit alle verfügbaren Informationen, teilte die Organisation in Den Haag mit.

Auch Frankreich und Großbritannien sahen die syrische Regierung hinter dem Angriff. "Wie am 21. August 2013 in Ghouta greift Baschar al-Assad Zivilisten an und nutzt dabei Mittel, die von der internationalen Gemeinschaft geächtet sind", teilte der Elyseepalast am Dienstag mit. Der britische Außenminister Boris Johnson erklärte: "Das trägt alle Anzeichen eines Angriffs durch das Regime, das wiederholt chemische Waffen eingesetzt hat."

Auch Aktivisten machten für den Angriff Jets der syrischen Luftwaffe verantwortlich. Diese wies den Vorwurf zurück. Ein syrischer General, der ungenannt bleiben wollte, erklärte, die syrische Armee habe in Khan Sheikhoun kein Giftgas eingesetzt.

Nach Chemiewaffeneinsatz: Opfer in Spital bombardiert

Die Menschenrechtsbeobachter erklärten, Jets seien in der Früh mehrere Angriffe geflogen. Menschen seien in Ohnmacht gefallen, hätten sich erbrochen und Schaum vor dem Mund gehabt. Der Zustand vieler Verletzter sei ernst. Bilder im Internet zeigten zahlreiche Leichen und Opfer, die mit Sauerstoff behandelt wurden.

Später sei die Stadt erneut angegriffen worden, meldeten die Menschenrechtler. Andere Aktivisten erklärten, bombardiert worden sei eine Klinik, in der Verletzte behandelt worden seien. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Die Menschenrechtler sitzen in England, stützen sich aber auf ein Netzwerk von Informanten in Syrien. Ihre Angaben haben sich als zuverlässig erwiesen.

Khan Sheikhoun liegt im Süden der Provinz Idlib, die von unterschiedlichen Rebellengruppen kontrolliert wird. Eigentlich gilt in dem Bürgerkriegsland seit Ende des vergangenen Jahres eine von Russland und der Türkei ausgehandelte Waffenruhe. Diese ist jedoch brüchig. Ausgenommen von der Waffenruhe sind die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und die al-Qaida-nahe Organisation Tahrir al-Sham. Diese ist besonders in der Provinz Idlib stark.

Fünf Chlorgas-Angriffe seit Anfang des Jahres?

UN-Ermittler hatten Syriens Regierung im März vorgeworfen, in den vergangenen Monaten im Kampf um die Stadt Aleppo und andernorts Chlorgas eingesetzt zu haben. Ein Bericht der Untersuchungskommission des Menschenrechtsrates sprach von mindestens fünf Chlorgas-Angriffen regierungstreuer Kräfte seit Anfang dieses Jahres.

Bereits 2013 waren östlich der Hauptstadt Damaskus bei Angriffen mit Giftgas rund 1400 Menschen getötet worden. Die Opposition und der Westen machten dafür Syriens Regierung verantwortlich. Diese stimmte danach zu, alle Giftgasvorräte zu vernichten. Chlor fiel jedoch nicht unter das Verbot, weil es für zivile Zwecken benötigt wird. Im vergangenen Dezember starben einer Hilfsorganisation zufolge in der Provinz Hama bei einem Giftgasangriff 93 Zivilisten.

(APA/Reuters/AFP/dpa)

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