Als das Böse nach Stockholm kam

Rosen für die Opfer.
Rosen für die Opfer.APA/AFP/ODD ANDERSEN
  • Drucken

Einen Tag nach dem Terroranschlag sind die Schweden zutiefst erschüttert. Trotz Polizeiwarnung kommen viele Passanten in die Innenstadt, um Blumen niederzulegen. Eine Verschärfung der Antiterrorgesetze dürfte bevorstehen.

Die Fahnen an den Amtsgebäuden stehen auf Halbmast. Kronprinzessin Victoria hat Tränen in den Augen, als sie am Samstagmorgen vor der Polizeiabsperrung zum Stockholmer Kaufhaus Ahlens einen Strauß rote Rosen ablegt. König und Königin haben eine Brasilienreise abgebrochen und sind auf dem Heimweg – bis sie ankommen, ist die Kronprinzessin Schwedens Staatsoberhaupt. Das Reden fällt ihr sichtbar schwer: „Ich fühle aber eine gewisse Stärke“, sagt sie vor dem Anschlagsort. „Die schwedische Gesellschaft baut auf enormem Vertrauen, Gemeinsamkeit und Zusammenhalt auf. Das wird uns letztlich gestärkt hier herausführen“, sagte die Kronprinzessin kurz und sichtlich unvorbereitet.

Auch der sonst eher trocken auftretende Ministerpräsident Stefan Löfven wirkt sichtlich mitgenommen, als er Blumen am Anschlagsort ablegt. „Terroristen können Schweden nie besiegen. Unsere Botschaft ist klar. Wir werden uns niemals beugen. Ihr werdet niemals siegen“, sagte er. Und auch ihm kommen die Tränen.

Einen Tag nach dem Terroranschlag in Stockholm ist ganz Schweden zutiefst erschüttert und verunsichert. Ein Mann war am Freitag kurz vor 15 Uhr mit einem Lastwagen rund 500 Meter über die belebte Fußgängerzone der Einkaufsstraße Drottninggata in den Haupteingang von Ahlens gerast. Er tötete vier Menschen, verletzte weitere 15.
Einen Tag nach dem Anschlag ist der Schock, die Trauer und die Wut über den Terroranschlag im sonst so beschaulichen Stockholm noch greifbarer. Viele Einwohner haben sich im Laufe des Tages an den Platz Sergel Torg vor dem Kaufhaus Ahlens, dem Herzen ihrer Stadt, begeben. Ungeachtet der Aufrufe der Polizei, auch am Samstag das Stadtzentrum zu meiden, legen sie Blumen für die Opfer nieder.

Therapie. „Ich bin Köchin in einem Restaurant in der Nähe“, sagt die 26-jährige Hanna Olsson. „Wir, die ganze Belegschaft, versteckten uns im Keller, weil wir nach dem Anschlag von Schießereien überall in der Stadt hörten.“ Wie viele andere hat sie Blumen vor dem Kaufhaus gelegt. „Das ist so unfassbar“, sagt sie, „dass das hier in Schweden, in Stockholm passiert, ich hatte riesige Angst, ich habe immer noch Angst. Aber ich musste herkommen. Das ist wohl irgendwie auch Therapie.“ Schweden habe sich stets so weit ab von allem Bösen angefühlt, und dieses schöne Gefühl sei nun weg. Auch ein junger Vater steht mit seiner Tochter vor dem Kaufhaus. „Wir wohnen ganz in der Nähe. Wir haben den ganzen Abend und Morgen mit den Kindern darüber geredet“, sagt er.

Am Samstag wurden noch neun der insgesamt 15 Verletzten im Krankenhaus behandelt. Einige davon, darunter auch Kinder, sind offenbar schwer verletzt. Es grenzt an ein Wunder, dass nicht noch mehr Menschen zu Schaden gekommen sind. Genau zur Anschlagszeit hören viele Stockholmer für gewöhnlich mit der Arbeit auf, begeben sich nach Hause oder zu einem Bier mit Freunden und Kollegen in die Innenstadt. Der Anschlagsort ist einer der belebtesten Orte Stockholms. Und der zaghaft beginnende skandinavische Frühling hatte diesem Freitag noch mehr Menschen als sonst nach der Arbeit ins Stadtzentrum gelockt. Die Stimmung war ungewöhnlich unbeschwert – bis der Terror kam.

Dabei hatten die Stockholmer anscheinend Glück im Unglück. Der angeblich maskierte Täter soll neben dem Fahrersitz eine Tasche mit Sprengstoff transportiert haben. Das berichtete das öffentlich rechtliche Fernsehen SVT unter Berufung auf mehrere Informanten bei der Polizei.

Bekannter Verdächtiger. Offizielle Bestätigungen gab es dazu nicht. Auch Meldungen über Schießereien an mehreren Orten in Stockholm direkt nach dem Anschlag hat die Polizei nicht bestätigt. Überhaupt hielten sich die Beamten weitgehend damit zurück, auf Einzelheiten einzugehen. Sie dementierten oder bestätigten auch am Samstag nur wenig.

Kurz nach 20 Uhr am Freitag hatte die Polizei in der Nähe des internationalen Flughafens Arlanda gelegenen Stockholmer Vorort Märsta einen Mann verhaftet. Es handle sich „wahrscheinlich“ um den Täter, so die Polizei. Der 39-Jährige kommt aus Usbekistan und soll Sympathien für den sogenannten Islamischen Staat (IS) bekundet haben. Er soll direkt nach der Tat mit der S-Bahn vom Hauptbahnhof T-Centralen, dessen Eingang genau am Eingang des Kaufhauses Ahlens liegt, nach Märsta gefahren sein. „Eine Frau erkannte ihn von den Fahndungsfotos.

Außerdem wirkte er nervös und hatte verbrannte Kleider. Ohne den Hinweis hätten wir ihn nie so schnell gefasst“, zitiert Aftonbladet einen Informanten. Bei der Festnahme soll der Mann Widerstand geleistet haben. Ob der Mann Komplizen hatte, sei unklar, sagte Polizeipräsident Dan Eliasson. Gegenwärtig werde nichts ausgeschlossen
Der Verdächtige war der Polizei bekannt. 2015 war er mit vier weiteren Landsmännern in einen Fall verwickelt, es ging um gefälschte Rechnungen für einen Putzdienst. Der schwedische Geheimdienst Säpo wurde eingeschaltet, weil der Verdacht bestand, dass die Einkünfte der Betrügereien an den IS gingen. Der Fall konnte nicht bewiesen werden, der Mann durfte gehen. Die Polizei räumte am Samstag lediglich ein, dass er Ermittlungen aus dem Vorjahr als „Sicherheitsrisiko“ auftauchte.

„Er wirkte wie ein gewöhnlicher Arbeiter, nicht wie ein religiöser Fanatiker“, sagte eine Usbekin die dem 39-jährigen gestattet hatte, ihre Wohnung im Einwanderervorort Hjulsta als Meldeadresse zu nutzen. „Er wollte nur Geld verdienen, arbeitete auf dem Bau, deshalb war er in Schweden. Seine Frau und seine Kinder sind im Ausland. Wir Landsleute helfen einander.“

Die schnelle Reaktion der schwedischen Polizei auf den Anschlag wurde von allen Seiten einhellig gelobt. Einsatzkräfte evakuierten das gesamte Stadtzentrum und mögliche weitere Anschlagsziele innerhalb kürzester Zeit. Schwer bewaffnete Polizisten standen an jeder Ecke. U-Bahnen Busse und S-Bahnen wurden kurz nach der Tat eingestellt. „Schwedens Sicherheitskräfte sind auf Terroranschläge vorbereitet, wir haben das oft geübt und folgen einem genauen Protokoll“, sagte ein Polizeisprecher.

Die Polizei gab an, dass es keine Informationen über einen bevorstehenden Anschlag gab. Wie spontan der Attentäter gehandelt hat, bleibt unklar. Jedoch stahl er den Lkw der Brauerei Spendrups erst eine knappe halbe Stunde vor der Tat, als der Fahrer mit dem Ausladen von Getränken vor einem Restaurant beschäftigt war.

Kritik kam lediglich vom prominenten Kriminalprofessor Leif Persson. Er kritisierte die Sicherheitsbehörden für mangelnde Prophylaxe. Persson hatte nach Nizza und Berlin erfolglos gefordert, dass der Zugang für nicht autorisierte Fahrzeuge in der Fußgängerzone durch Hindernisse unmöglich gemacht werden sollte. Immerhin bildeten die massiven Steinlöwen auf der Drottninggatan ein gewisses Hindernis für den Lkw – ohne sie wäre es vermutlich zu noch mehr Opfern auf der vollen Fußgängerzone gekommen. Und Fredrik Furtenbach, politischer Chefkommentator des öffentlich rechtlichen Radio Schwedens, geht nun davon aus, dass die Antiterrorgesetze in Schweden verschärft werden.

("Die Presse"-Printausgabe, 9.4.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

SWEDEN-TERROR-ATTACK
Außenpolitik

Schweden: Wie Rakhmat A. zum Attentäter wurde

Der verdächtige Usbeke gibt zu, in Stockholm in die Menschenmenge gefahren zu sein. Vor der Haftrichterin zeigt er sich zufrieden über die Tötung von „Ungläubigen“. Bekannte erzählen aber, dass er kaum betete und Alkohol trank.
Trauernde vor dem Anschlagsort.
Außenpolitik

Verdächtiger gesteht Lkw-Anschlag in Stockholm

Der 39-jährige Usbeke raste am Freitag mit einem Lkw in eine Fußgängerzone. Akilow akzeptiere, in U-Haft genommen zu werden, sagte sein Anwalt.
TOPSHOT-SWEDEN-ATTACK
Außenpolitik

Schweden: Test für „humanitäre Supermacht“

Nach dem Anschlag in Stockholm könnte nun auch im toleranten Schweden eine Debatte über die bisherige Einwanderungspraxis losbrechen. Eine Analyse.
In Stockholm wurde am Montag um die Opfer des Lkw-Anschlags getrauert.
Außenpolitik

Haftbefehl gegen mutmaßlichen Stockholm-Attentäter beantragt

Der Usbeke wird am Dienstag dem Haftrichter vorgeführt. Er sei "mit großer Sicherheit" der Täter, sagte der Polizeichef. Bei der Trauerfeier für die Opfer gab es Appelle an den Zusammenhalt.
Trauer in Stockholm
Home

Schwedens Abschiebepraxis im Visier

Dem mutmaßlichen Attentäter von Stockholm, einem 39-jährigen Usbeken, war im Vorjahr das Aufenthaltsrecht verweigert worden.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.