Die Übermacht des Monsieur Macron

Präsident Emmanuel Macron (Mitte) lässt sich auf einer Technologiemesse in Paris für ein Selfie mit Anhängern ablichten.
Präsident Emmanuel Macron (Mitte) lässt sich auf einer Technologiemesse in Paris für ein Selfie mit Anhängern ablichten. (c) APA/AFP/POOL/MARTIN BUREAU (MARTIN BUREAU)
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Der Präsident kann bei der Stichwahl zum Parlament eine überwältigende Mehrheit von etwa drei Vierteln der Sitze erwarten. Das schürt die Debatte über eine Wahlrechtsreform.

Paris. Nur gerade vier der 577 Sitze in der französischen Nationalversammlung wurden vergangenen Sonntag auf Anhieb mit der erforderlichen absoluten Mehrheit erobert. In allen anderen Wahlkreisen kommt es am kommenden Sonntag zu einer Stichwahl um den Sitz. Die Partei des Präsidenten, Emmanuel Macron, La République en marche (REM), und die mit ihr verbündete Zentrumspartei MoDem des neuen Justizministers, François Bayrou, gelten als haushohe Favoriten, da sich ihre Kandidaten in mehr als 500 Wahlkreisen für die Finalrunde qualifizieren konnten. Für Macrons Regierung zeichnet sich somit eine fast erdrückend starke Mehrheit von mehr als 400 Sitzen ab, die deutlich über den für eine absolute Mehrheit nötigen 289 Mandaten liegen würde.

Keine der anderen Parteien konnte gegen diesen in der jüngeren Geschichte einmaligen Erfolg von REM ernsthaft bestehen. Die zuvor regierenden Sozialisten und die mit ihnen verbündeten kleineren Linksparteien wurden in der ersten Runde fast völlig von der politischen Landkarte eliminiert – sie kämpfen am Sonntag selbst in ihren historischen Bastionen um einige wenige Sitze und um ihr Überleben als Partei.

Dramatisch werden für sie auch die finanziellen Verluste sein, denn die Höhe der öffentlichen Subventionen hängt von der Zahl der Stimmen und der errungenen Mandate ab. Die Sozialisten können indes nicht einmal sicher sein, in der zukünftigen, von REM dominierten Nationalversammlung noch in Fraktionsstärke vertreten zu sein. Zusammen mit den Grünen und den linken Radikalen (PRG) könnte die Parti Socialiste vermutlich in Zukunft weniger als dreißig Abgeordnete haben – das heißt etwa zehnmal weniger als vorher. Mehrere prominente Sozialisten, die noch auf eine Wiederwahl hoffen können, verdanken dies dem Wohlwollen der Regierungspartei, die sie entweder unterstützt oder keine Gegenkandidaten gegen sie aufgestellt hat.

Dezimierte Opposition?

Auch die Oppositionsparteien La France insoumise (FI) von Jean-Luc Mélenchon sowie der Front National (FN) von Marine Le Pen scheinen nicht in der Lage zu sein, ihre Resultate bei der Präsidentenwahl im Mai in eine große Sitzzahl umzuwandeln. Der FN kann laut Umfrageinstituten mit lediglich einem bis fünf Mandaten rechnen, die FI mit zehn bis 15. Fast glimpflich sind im Vergleich dazu die Konservativen (Les Républicains) und ihre Verbündeten des bürgerlichen Zentrums (UDI) davongekommen. Sie könnten mit den für den zweiten Wahlgang verbliebenen Kandidaten auf zwischen 90 und 120 Sitze kommen. Niemand weiß, wie viele dieser Abgeordneten sich der Regierungsmehrheit anschließen werden.

Die voraussehbare Vormacht das Macron-Lagers von etwa drei Vierteln der Sitze weckt die Befürchtung, dass die Opposition kaum in der Lage sein wird, ihre normale Rolle in der parlamentarischen Demokratie zu spielen.

Einmal mehr wird über das strikte Mehrheitswahlrecht diskutiert, das in solchen Situationen in allzu krasser Weise zur Stärkung der Exekutive beiträgt. 71 Prozent der Stimmberechtigten würden laut einer Umfrage die Einführung des Verhältniswahlsystems begrüßen, das eine bessere Repräsentation der Parteien gemäß ihrer Stimmzahl erlauben würde. In seinem Programm hat Präsident Macron – wie andere vor ihm – in diesem Sinne eine eine kleine „Portion“ Verhältniswahl in Aussicht gestellt. Das Unbehagen angesichts der krassen REM-Mehrheit ist selbst im Lager der Regierung zu spüren. Gemäß der Umfrage möchten am Sonntag 61 Prozent der Wähler das Resultat „korrigieren“.

Desinteresse der Wähler

Zu denken gibt aber auch die relative geringe Wahlbeteiligung, die am vergangenen Sonntag unter 50 Prozent gesunken ist. Da es bei den Stichwahlen nicht mehr um die Machtfrage geht und der Ausgang im Voraus so gut wie feststeht, wächst das Desinteresse der Bürger. Eine Ausnahme könnten lediglich die Wahlkreise sein, in denen FN-Kandidaten im Rennen sind.

AUF EINEN BLICK

In Frankreich findet am Sonntag die zweite Runde der Wahlen zur Nationalversammlung statt. Die allermeisten Sitze werden über diese Stichwahl entschieden – und es zeichnet sich ein überragender Sieg für Präsident Emmanuel Macron ab. Laut Umfragen könnte seine Bewegung, La République en marche (REM), im Parlament auf etwa drei Viertel der Sitze kommen. Keine Präsidentenpartei war in den vergangenen Jahrzehnten so

mächtig wie die Macrons.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2017)

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