Außenminister Kurz sieht eine Abkehr von der EU. Merkel fordert Dialog.
Wien/Berlin/Brüssel. Nach dem umstrittenen Verfassungsreferendum in der Türkei hat Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) ein klares Signal der EU gefordert. Wenngleich das Ja sehr knapp ausgefallen sei, bedeute es, dass sich die Türkei immer weiter von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie entferne. Das Votum sei daher auch „ein klares Signal gegen die Europäische Union“, auf das die EU reagieren müsse. „Es braucht endlich Ehrlichkeit, was das Verhältnis zwischen der EU und der Türkei betrifft“, betonte Kurz. „Die Zeit des Taktierens muss endlich vorbei sein.“ Er bekräftigte seine Forderung nach einem Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara.
Ähnlich äußerte sich VP-Chef Reinhold Mitterlehner. „Die Türkei entfernt sich mit diesem Votum weiter von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Es wird Zeit, dass Europa sein Verhältnis zur Türkei neu klärt“, erklärte er.
Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) bezog sich in einer Kurznachricht auf Twitter auf jene, die mit Nein gestimmt haben. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan habe den Bruch mit dem europäischen Grundkonsens von Demokratie und Rechtsstaat gesucht, fast die Hälfte der Türken sei ihm nicht gefolgt, schrieb Kern.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte Erdoğan auf, nach seinem knappen Sieg beim Referendum auf seine politischen Gegner zuzugehen. Angesichts der tiefen Spaltung der türkischen Gesellschaft erwarte die Bundesregierung, dass die türkische Regierung „einen respektvollen Dialog mit allen politischen und gesellschaftlichen Kräften des Landes sucht“, hieß es am Montag in einer gemeinsamen Erklärung Merkels mit dem deutschen Außenminister Sigmar Gabriel (SPD).
Der Ruf nach einer Neubewertung des Verhältnisses zwischen der EU und der Türkei kam auch vom Fraktionsvorsitzenden der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber. „Wir müssen die Situation neu bewerten und Konsequenzen ziehen.“ (ag.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2017)