Venezuela: "Wir sind nah dran am Bürgerkrieg"

In Venezuela demonstrieren seit Tagen Regierungsgegner gegen den sozialistischen Staatschef Maduro.
In Venezuela demonstrieren seit Tagen Regierungsgegner gegen den sozialistischen Staatschef Maduro.APA/AFP/JUAN BARRETO
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Die Lage in dem südamerikanischen Land könne völlig außer Kontrolle geraten, sagt ein Politologe. Doch er sieht die Zeit von Präsident Maduro abgelaufen.

Die Gewalt in Venezuela droht nach Einschätzung des deutschen Politikwissenschaftlers Klaus Bodemer weiter zu eskalieren. "Es ist zu befürchten, dass die Lage völlig außer Kontrolle gerät und dass dann das Militär eingreift. Wir sind nah dran am Bürgerkrieg", sagte der frühere Leiter des Hamburger GIGA Instituts für Iberoamerika-Kunde der Nachrichtenagentur AFP.

Entscheidend sei die Reaktion der einflussreichen Armee. "Es rumort im Militär. Zwar hat es kein großes Interesse daran, dass die Opposition an die Macht kommt, denn das Militär sitzt an allen wichtigen Positionen, verfügt über weitreichende Privilegien und hat somit viel zu verlieren", sagte Bodemer. "Andererseits können aber auch die Militärs an der jetzigen Situation keinen Gefallen haben."

Es gebe "ein Bündel von Krisen" in Venezuela. "Wir haben einen Mix aus politischer Krise, Planungsversagen, wirtschaftlicher Krise, Versorgungskrise und dann als Konsequenz eine total polarisierte Gesellschaft", sagte Bodemer. "Mehr als 80 Prozent der Venezolaner leben unter der Armutsgrenze, die Versorgungslage fürs Alltägliche ist katastrophal."

Korruption auf allen Ebenen virulent

Hinzu komme eine verheerende Sicherheitslage. Ein weiteres Problem sei die "grassierende Korruption, die auf allen Ebenen virulent ist, in der Politik und im Militär". Unter Präsident Nicolás Maduro seien die demokratischen Rechte "systematisch zurückgeschnitten" worden. "Wir haben überhaupt keine Gewaltenteilung mehr. Das Oberste Gericht ist unterwandert von Anhängern Maduros."

Die in der Verfassung vorgeschriebene Möglichkeit, den Präsidenten nach der Hälfte seiner Amtszeit per Referendum abzusetzen, sei von der Regierung "unterminiert" worden. "Es wird nur noch per Dekret regiert. Die Wahlen, die eigentlich fällig sind, wurden immer wieder verschoben", sagte Bodemer. "Der letzte große Schritt war der Versuch des Obersten Gerichts, die Rechte des Parlaments auszuhebeln."

Die Nationalversammlung wird von der Opposition dominiert, die nach Einschätzung Bodemers aber nicht nur drangsaliert wird, sondern auch politisch schwach ist. "Die Opposition spricht nicht mit einer Stimme. Zudem sind die Hauptfiguren wie Henrique Capriles mit einer Art Berufsverbot belegt oder sie sitzen im Gefängnis wie Leopoldo López. Es fehlt eine Leitfigur der Opposition."

Parteiinterner Putsch möglich

Dennoch sei Maduros Zeit abgelaufen, sagte Bodemer. "Ich glaube nicht, dass sich Maduro noch lange halten kann." Vermittlungsversuche von außen seien bisher gescheitert. "Die Lösung wären Wahlen, die international überwacht werden, aber dazu ist Maduro bislang nicht bereit."

Denkbar sei daher auch ein interner Putsch: "Es gibt schon länger Strömungen innerhalb seiner Sozialistischen Partei, die darauf abzielen, Maduro durch jemand anderen zu ersetzen. Der eigentlich starke Mann im Hintergrund ist (Vize-Parteichef) Diosdado Cabello, er hat auch die besten Beziehungen zum Militär."

In Venezuela demonstrieren seit Tagen Regierungsgegner gegen den sozialistischen Staatschef Maduro; dabei kommt es in der Hauptstadt Caracas und anderen Städten immer wieder zu Straßenschlachten zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Fünf Menschen wurden bei den Protesten getötet, darunter ein 13-jähriger Bursche.

Die Regierungsgegner in dem ölreichen lateinamerikanischen Land machen Maduro für die seit Monaten andauernde Wirtschaftskrise verantwortlich. Sie kämpfen für eine Volksabstimmung zu seiner Amtsenthebung. Außerdem fordert die Opposition ein Datum für die verschobenen Regionalwahlen. Für Mittwoch hat die Opposition erneut zu landesweiten Protesten aufgerufen.

(APA/AFP)

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