Türkei-Referendum: Annulierungsantrag abgelehnt

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Nach dem umstrittenen Sieg von Staatschef Erdogan hat die Wahlkommission Anträge der Opposition auf Annullierung der Abstimmung zurückgewiesen. In Istanbul kam es am Mittwochabend wieder zu Protesten.

Nach dem umstrittenen Sieg von Staatschef Recep Tayyip Erdogan beim Referendum in der Türkei hat die Wahlkommission Anträge der Opposition auf Annullierung der Abstimmung vom Sonntag zurückgewiesen. Die Nachrichtenagentur DHA berichtete, auch Anträge von Einzelpersonen habe die Wahlkommission abgelehnt. Die Begründung ihrer Entscheidungen soll die Kommission nachreichen.

Zehn Mitglieder der Kommission stimmten am Mittwoch gegen die vor allem von den beiden größten Oppositionsparteien CHP und HDP am Vortag eingebrachten Anträge, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Nur ein Mitglied der Wahlkommission habe das Ansinnen der Opposition unterstützt.

"Organisierter Wahlbetrug"

Die beiden größten Oppositionsparteien - die kemalistische CHP und die pro-kurdische HDP - sowie die nicht im Parlament vertretene Vaterlandspartei hatten die Annullierung wegen zahlreicher Manipulationsvorwürfe beantragt. Der CHP-Abgeordnete Bülent Tezcan sagte zur Entscheidung der Wahlkommission: "Das nennen wir organisierten Wahlbetrug, organisierten Stimmraub." Erdogan hatte das Referendum nach dem vorläufigen Ergebnis mit 51,4 Prozent knapp gewonnen. Die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarates hatten dem Prozess zahlreiche Mängel attestiert.

Im Zentrum der Kritik stand die während der laufenden Abstimmung getroffene Entscheidung der Wahlkommission, auch nicht von ihr gestempelte Stimmzettel als gültig zu werten. Auch der Chef der OSZE-Wahlbeobachter, Michael Georg Link, sah darin "einen Verstoß gegen türkisches Recht". Link sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, von einer Kooperation der türkischen Regierung zur Klärung der Vorwürfe "kann leider keine Rede sein".

Außenminister greift Wahlbeobachter an

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu erhob dagegen schwere Vorwürfe gegen die Wahlbeobachter. "Ihr könnt nicht in die Türkei kommen und Euch in ihre Politik einmischen", sagte er in Ankara. Cavusoglu verbat sich generell jegliche Einmischung Europas.

Der Minister sagte, das Referendum sei "transparent" verlaufen. Die Feststellungen der Wahlbeobachter - die internationale Standards nicht erfüllt sahen - seien "äußerst parteiisch". "Und so haben sie auch überhaupt keine Geltung und keinen Wert." In dem vorläufigen Bericht der Beobachter gebe es "eine Vielzahl an technischen und konkreten Fehlern und da sehen wir eine Absicht dahinter".

Link sagte: "Die jetzt öffentlich vorgebrachten Zweifel an unserer Neutralität sind eindeutig politisch motiviert." Die Bundesregierung riet der Türkei, die Bedenken der internationalen Wahlbeobachter nicht einfach abzutun. Die Regierung in Ankara sei "gut beraten, das ernst zu nehmen, intensiv zu prüfen", sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, in Berlin.

EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Was mögliche Wahlmanipulationen betrifft, so fordern wir die türkischen Behörden auf, diesen ernsten Verdachtsmomenten in einer sorgfältigen und transparenten Weise nachzugehen." Er fügte hinzu: "Nach dem Referendum ist jetzt die Zeit gekommen, eine grundlegende Diskussion über die EU-Türkei-Beziehungen zu beginnen, inklusive einer möglichen Neubewertung."

Wieder Proteste in Istanbul

In der türkischen Metropole Istanbul ist es am vierten Abend in Folge zu Protesten gegen das Verfassungsreferendum von Staatschef Erdogan gekommen. Im zentralen Stadtteil Besiktas demonstrierten am Mittwoch rund 1.500 Menschen friedlich gegen Erdogan und gegen die Wahlkommission, wie ein dpa-Reporter berichtete.

Demonstranten skandierten unter anderem "Mörder, Dieb, Erdogan". Der Wahlkommission - die zuvor Anträge der Opposition auf Annullierung des Referendums abgelehnt hatte - warfen sie Parteilichkeit vor. Auch in weiteren Vierteln Istanbuls und in anderen Städten des Landes war zu Protesten aufgerufen worden.

Nach den Protesten vom Dienstagabend waren in Istanbul Medienberichten zufolge 38 Menschen festgenommen worden. Die Polizei sei am frühen Mittwochmorgen in die Häuser der Aktivisten eingedrungen, berichtete die regierungskritische Zeitung "Birgün". Unter den Festgenommenen ist unter anderem der Istanbuler Provinzvorsitzende der kleinen linken Partei ÖDP, Mesut Gecgel, wie dieser auf Twitter mitteilte. Die Partei bestätigte die Festnahme und erklärte, Gecgel werde vorgeworfen, "das Volk aufzuwiegeln". Gecgel hatte die Demonstrationen in Besiktas mitorganisiert.

(APA)

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