960 Wahlurnen hätten ausschließlich Ja-Stimmen erhalten, sagt die CHP. Ankara fordert die Opposition auf, das Ergebnis anzuerkennen. Eine Annullierung sei aussichtslos.
Die türkische Regierung hält weitere Bemühungen der Opposition zur Annullierung des umstrittenen Verfassungsreferendums für aussichtslos. "Unsere Verfassung besagt eindeutig, dass Entscheidungen der Wahlkommission endgültig sind und dass es keine Stelle gibt, bei der diese Entscheidungen angefochten werden können", sagte Justizminister Bekir Bozdag am Donnerstag laut staatlicher Agentur Anadolu.
"Selbst wenn eine solche Beschwerde eingelegt würde, hätte das Verfassungsgericht keine andere Möglichkeit, als sie zurückzuweisen", so Bozdag. Staatschef Recep Tayyip Erdogan hatte das Referendum zur Einführung eines Präsidialsystems nach dem vorläufigen Ergebnis mit 51,4 Prozent knapp gewonnen.
Am Wahltag waren zahlreiche Manipulationsvorwürfe erhoben worden. Im Zentrum der Kritik stand die Entscheidung der Wahlkommission, auch nicht von ihr gestempelte Stimmzettel als gültig zu werten. Auch die OSZE-Wahlbeobachter sahen darin "einen Verstoß gegen türkisches Recht". Die Opposition sprach von Wahlbetrug. Sie kündigte an, "alle demokratischen Rechte" zu nutzen, um eine Wiederholung der Abstimmung zu erreichen.
Ankara: Klage vor Menschenrechtshof aussichtslos
Die oppositionelle CHP veröffentlichte laut der Zeitung "Hürriyet Daily News" einen Bericht mit mutmaßlichen Unregelmäßigkeiten. Demnach enthielten 960 Wahlurnen im Osten und Südosten, wo keine Wahlbeobachter im Einsatz waren, ausschließlich Ja-Stimmen. In 2645 Wahlurnen hätten sich zudem mehr Stimmen befunden, als es registrierte Wähler im Stimmbezirk gab.
Der Leiter der Wahlkommission, Sadi Güven, sagte, er werde sich zu den CHP-Vorwürfen nicht äußern. "Ich bin kein Politiker, ich bin Richter", sagte Güven. Die elf Mitglieder der Kommission hatten am Mittwochabend bei einer Gegenstimme den CHP-Antrag sowie Beschwerden der prokurdischen HDP und zweier Anwaltskammern abgeschmettert.
Justizminister Bozdag sagte dem Sender A-Haber, die Entscheidung der Wahlkommission sei richtig und definitiv, ein Einspruch dagegen unzulässig. Das Verfassungsgericht habe nicht "die Autorität oder das Recht", die Entscheidung der Wahlkommission zu überprüfen. Auch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sei aussichtslos.
Europarat sieht keine Handhabe
Auch der Europarat sieht im Streit um eine Annullierung des Referendums derzeit keine Handhabe. "Keine internationale Institution hat die Möglichkeit, in irgendeinem Land ein Referendum für nichtig zu erklären", sagte Generalsekretär Thorbjörn Jagland in Straßburg. Denkbar sei eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die Entscheidung der türkischen Wahlkommission, das Referendum trotz Manipulationsvorwürfen nicht zu annullieren. Bisher gebe es allerdings keine Rechtsprechung zu Volksabstimmungen.
In Istanbul und anderen Städten gab es am Mittwochabend erneut Proteste. In den Stadtteilen Besiktas und Kadiköy gingen am Mittwochabend den vierten Tag in Folge Hunderte Menschen auf die Straße und riefen Slogans gegen Erdogan. Die Polizei griff nicht ein, doch nahm sie am Mittwoch mindestens 16 linke Aktivisten fest; 22 weitere wurden per Haftbefehl gesucht.
Regierungskritiker festgenommen
Regierungskritiker gerieten indes weiter unter Druck. Die "Juni Bewegung", die unter anderem Proteste gegen den Ausgang des Referendums organisiert, teilte auf Twitter mit, drei ihrer Aktivisten seien im westtürkischen Edirne festgenommen worden.
Die Polizei durchsuchte zudem das Büro eines oppositionellen Online-Mediums und nahm dessen Chefredakteur Ali Ergin Demirhan fest. Demirhan werde unter anderem vorgeworfen, das Ergebnis des Referendums nicht anzuerkennen, teilte die von linken Aktivisten betriebene Seite sendika.org mit. Weitere Vorwürfe seien Volksverhetzung sowie der Aufruf über Soziale Medien zum Protest. Bei der Durchsuchung des Büros von sendika.org in Istanbul habe die Polizei Demirhans Computer und Handy beschlagnahmt.
Die Website war am Donnerstag von der Türkei aus nicht mehr erreichbar. Nach Angaben eines freien Mitarbeiters von sendika.org sperren die Behörden die Seite immer wieder, die dann in der Regel unter einer neuen Adresse wieder online geht.
(APA/dpa)