Venezuela: Nackter Demonstrant bittet um Ende der Gewalt

Das Bild des Mannes wurde in sozialen Medien tausendfach verbreitet.
Das Bild des Mannes wurde in sozialen Medien tausendfach verbreitet.(c) REUTERS (Carlos Garcia Rawlins)
  • Drucken

Die Organisation Amerikanischer Staaten sieht die Demokratie "tödlich verletzt". Während sich die Proteste radikalisieren, denkt der Präsident nicht an Rücktritt.

Angesichts dramatischer Szenen in Venezuela fordert die internationale Gemeinschaft von Präsident Nicolas Maduro ein Zurückziehen der brutal agierenden Milizen. Im Internet kursierende Bilder zeigten, wie auf Demonstranten von Motorrädern aus geschossen wurde, zudem prügelten Polizisten auf Protestierende ein, von denen einige aber ebenfalls gewalttätig wurden.

Der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Luis Almagro, sagte, die Demokratie in Venezuela sei "tödlich verletzt". Auch am Donnerstag demonstrierten laut Schätzungen Hunderttausende für Neuwahlen und gegen ein Abdriften in die Diktatur. "Wir verurteilen vor allem, dass das Regime die Colectivos bewaffnet hat, damit sie unkontrolliert Repression ausüben", sagte der frühere uruguayanische Außenminister Almagro. Als Colectivos werden mit den seit 1999 regierenden Sozialisten sympathisierende Milizen bezeichnet, die mit Waffen und Schlagketten Gegner attackieren.

Maduro bot zugleich einen Dialog an. "Es wird nie einen Bürgerkrieg in unserem Vaterland geben", teilte er per Internetbotschaft mit. Seit Tagen setzt die Polizei massiv Tränengas ein, gerade in Caracas. Bilder von einer Frau, die sich einem gepanzerten Fahrzeug inmitten von Tränengas entgegenstellt oder von einem nackten Mann, der einen Panzerwagen besteigt und ein Ende der Gewalt fordert, wurden in sozialen Medien tausendfach verbreitet. Der Mann hatte sich zuvor mit ausgestreckten Armen und einer Bibel in der Hand zwischen schwer bewaffnete Polizisten gestellt, die sich mit Gasmasken auf ihren Motorrädern gegen das versprühte Tränengas schützten. "Werft keine Bomben mehr", rief er mit Blick auf den massiven Tränengaseinsatz.

Land steht vor dem Ruin

Maduro wittert ein Komplott und forderte die Verteidigung der von Hugo Chavez begonnenen sozialistischen "Revolution" - dank der Öleinnahmen wurde lange massiv in Sozialprogramme und Wohnungsbau investiert. Aber Misswirtschaft ließ das Land zuletzt abstürzen.

Bisher starben bei den Protesten, die durch die zeitweise Entmachtung des Parlaments ausgelöst wurden, neun Menschen, fast tausend Menschen wurden bisher festgenommen. Das Land steht vor dem Ruin. Wegen der Bedienung milliardenschwerer Auslandsschulden und der höchsten Inflation der Welt können kaum noch Lebensmittel und Medikamente importiert werden, die in Euro oder Dollar zu bezahlen sind.

Präsident Maduro macht den niedrigen Ölpreis und Sanktionen für die Misere verantwortlich - 2016 brach die Wirtschaftsleistung um rund 18 Prozent ein. Antibiotika, Diabetes- oder Epilepsie-Medikamente sind kaum noch zu bekommen. Die Kindersterblichkeit stieg deutlich an. Auf Müllbergen suchen Menschen, gestört von Geiern, nach Essensresten.

UNO besorgt vor blutigem Machtkampf

Almagro will den internationalen Druck auf Präsident Maduro erhöhen, der ihn zu einer Art Staatsfeind erklärt hat. Zu Ostern brannten in dem Land Judas-Figuren mit dem Konterfei Almagros - er wirft Maduro vor, die Gewaltenteilung und die Demokratie ausgehebelt zu haben. Die OAS ist aber in ihrer Haltung zu Venezuela gespalten.

Ihr gehören die 35 Staaten Nord-, Mittel- und Südamerikas sowie der Karibik an. Boliviens sozialistischer Präsident Evo Morales warf zum Beispiel den USA vor, Maduro stürzen zu wollen. "Der Plan des Imperiums ist es, den verfassungsgemäß gewählten Präsidenten zu stürzen, als Warnung an alle antiimperialistischen Regierungen."

Maduro regiert mit Dekreten weitgehend am von der Opposition dominierten Parlament vorbei. Zuletzt kündigte er an, 500.000 Milizen mit Gewehren auszurüsten. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres zeigte sich äußerst besorgt über den blutigen Machtkampf. "Wir rufen dazu auf, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Spannungen zu verringern und weitere Zusammenstöße zu verhindern", sagte er. Die deutsche Regierung forderte die Freilassung von politischen Gefangenen.

Der größte US-Autobauer General Motors (GM) stoppte am Donnerstag seine Geschäfte in Venezuela, nachdem die Regierung eine Fabrik des Konzerns beschlagnahmt hatte. Die Aktion habe zu irreparablem Schaden für GM, seine 2.678 Mitarbeiter und die Zulieferer geführt, teilte GM mit.

(APA/dpa/Georg Ismar und Nestor Rojas)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Dudamel gilt als musikalischer Botschafter Venezuelas.
Außenpolitik

"Genug ist genug": Venezuelas Dirigent Dudamel verurteilt tödliche Proteste

Der Star-Dirigent fordert Präsident Maduro auf, "die Stimme des venezolanischen Volkes zu hören". Am Donnerstag wurde ein Studentenführer bei Protesten getötet.
Außenpolitik

Venezuela: Maduros Abschied von der Demokratie

Der Präsident will eine neue Verfassung durchsetzen. Die Opposition wähnt eine Diktatur.
Gemäß Artikel 347 der Verfassung will Präsident Nicolas Maduro eine Volksversammlung einberufen.
Außenpolitik

In Venezuela wächst die Sorge vor einer Maduro-Diktatur

Präsident Maduro will mit einer Volksversammlung einen "Staatsstreich" verhindern. Die Opposition vermutet die Errichtung einer offener Diktatur und kündigt Widerstand an.
Außenministerin Delcy Rodriguez
Außenpolitik

Venezuela verlässt Organisation Amerikanischer Staaten

Die OAS hatte die venezolanische Regierung zuletzt scharf kritisiert. Der blutige Machtkampf hat unterdessen nach Zusammenstößen bei Demonstrationen zwei weitere Todesopfer gefordert.
Gegner des Präsidenten bei einer Demonstration.
Außenpolitik

Maduro droht: "Wissen nicht, was wir in der Lage sind zu tun"

Es werde keinen Bürgerkrieg geben, versichert der Präsident Venezuelas. Die Opposition hat erneut Massenproteste für Montag angekündigt.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.