Die Fünfte Republik. In keinem anderen EU-Land hat der Präsident so viel Macht wie in Frankreich.
Paris/Wien. „Hier wohnt die Hure des Königs“, schmierten wütende Pariser in den 1750er-Jahren an die Wand des noblen Palais der Rue du Faubourg Saint-Honoré. Madame de Pompadour hauste hier: Die mächtige Maitresse von Louis XV. hatte gerade mit kostspieligen Erweiterungsarbeiten ihrer Prachtresidenz begonnen – das Parkgelände sollte ausgeweitet werden, und die Pariser bangten um ihre geliebten Champs Élysées.
Jahrzehnte vergingen, bis der herrschaftlich hergerichtete ?lysée-Palast Machtzentrale der Nation wurde: Napoleon zog zeitweise ein – und später dann das Oberhaupt der Republik: Im „Château“, wie das Palais heute auch genannt wird, wohnt und arbeitet der Staatspräsident. Ein Präsident, dessen nahezu royale Machtfülle der noblen Residenz durchaus gerecht wird: In keinem anderen EU-Land hat ein Staatschef mehr Vollmachten als in Frankreichs Fünfter Republik.
Le président (oder Madame le président, sollte Marine Le Pen als erste Frau in das Amt gewählt werden) ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und entscheidet, ob Atomwaffen eingesetzt werden. Er darf eigenhändig Soldaten bis zu vier Monate ins Ausland schicken. Er bestimmt die Richtlinien der Außen- und Verteidigungspolitik, vertritt also sein Land allein bei Gipfeltreffen.
Die verhasste Kohabitation
Auch in all den anderen politischen Bereichen gibt er den Ton an: Als Chef der Exekutive leitet der Präsident alle Kabinettssitzungen. Er nominiert den Premier und auf dessen Vorschlag auch die übrigen Minister. Der Präsident kann den Regierungschef zum Rücktritt zwingen, die Nationalversammlung auflösen und Neuwahlen ansetzen. In Krisenzeiten hat er die Möglichkeit, den Notstand auszurufen. Er unterschreibt die Gesetze, kann Dekrete erlassen und bestimmte Fragen per Referendum klären lassen. Vor dem Parlament muss er sich nicht verantworten. Strafrechtlich genießt er während seiner Amtszeit Immunität. Er kann nicht einmal abgewählt werden. Allerdings darf das Parlament ihn bei schweren Verfehlungen absetzen, mit einer Zweidrittelmehrheit.
Eingeschränkt wird diese enorme Machtfülle nur in Zeiten der Kohabitation, der Zwangsehe mit einem Premier des gegnerischen Lagers. Dann hat der Regierungschef die Fäden der Wirtschafts- und Sozialpolitik in der Hand. Eine solche Kohabitation gab es bereits dreimal, zuletzt 1997–2002. Damals musste der konservative Staatschef Jacques Chirac mit dem Sozialisten Lionel Jospin auskommen und zähneknirschend zusehen, wie Jospin die 35-Stunden-Woche einführte.
De Gaulles „zehn Jahre als Monarch“
„Erfinder“ dieser in Europa einzigartigen Machtkonzentration war General Charles de Gaulle: 1958, inmitten der Wirren der Algerien-Krise, wurde der damals pensionierte Kriegsheld gebeten, als Premier das Land wieder zu einen. Man befürchtete einen Militärputsch in Frankreich. De Gaulle hatte klare Vorstellungen, wie er für Stabilität sorgen würde: Er wollte die „schwache parlamentarische Republik“ in ein semipräsidentielles Regierungssystem umwandeln – mit sich selbst als an der Spitze. Er ließ eine neue Verfassung per Referendum absegnen, 1959 machte ihn das Parlament zum Präsidenten. „In Wirklichkeit war ich zehn Jahre lang ein Monarch“, vertraute de Gaulle nach seinem Rücktritt 1969 einem französischen Diplomaten an. Freilich stieß die Fünfte Republik wegen ihrer Machtkonzentration auf heftige Kritik, vor allem in der Linken. Einer der lautstärksten Anti-Gaullisten war der Sozialist François Mitterrand, der von „permanentem Staatsstreich“ sprach. Dann kam er selbst an die Macht. Während Mitterrands langer Präsidentschaft 1981–95 war die Abschaffung der Fünften Republik plötzlich kein Thema mehr.
Heute diskutiert man wieder über Verfassungsänderungen, wohl als Antwort auf die Dauersystemkrise. Im Wahlkampf machten sich die Linken Jean-Luc Mélenchon und Benoît Hamon für die Einschränkung der präsidialen Macht stark. Auch unter Politologen werden angesichts der Perspektive einer autoritären Le-Pen-Präsidentschaft Rufe nach einer Sechsten Republik laut.
Macht des Präsidenten
Der direkt vom Volk gewählte französische Präsident ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und bestimmt die Richtlinien der Außen- und Verteidigungspolitik. Allein er entscheidet über den Einsatz der Atomwaffen. Der Präsident ernennt den Premierminister und auf dessen Vorschlag auch die übrigen Mitglieder des Kabinetts. Ebenso kann der Regierungschef die Minister zum Rücktritt zwingen, die Nationalversammlung auflösen und Neuwahlen ansetzen. In Krisenzeiten hat er die Möglichkeit, den Notstand auszurufen.