Wie Kern im Gabriel-Eklat vermitteln wollte

Christian Kern (li.) wurde von Benjamin Netanjahu in Israel empfangen - im Gegensatz zum deutschen Außenminister.
Christian Kern (li.) wurde von Benjamin Netanjahu in Israel empfangen - im Gegensatz zum deutschen Außenminister.APA/AFP/POOL/DAN BALILTY
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Bei seinem Treffen mit Premier Netanjahu verliert Bundeskanzler Kern kein kritisches Wort über Israel. Der deutsche Außenminister Gabriel wurde hingegen wegen seines Termins mit NGOs nicht empfangen.

Bundeskanzler Kern fährt in einer schwarzen Limousine vor. Israels Premierminister, Benjamin Netanjahu, kommt ihm auf dem roten Teppich entgegen, begrüßt ihn herzlich. Die beiden geben nur kurze Erklärungen ab. Dennoch ist der Andrang der Medien beachtlich. Sechs Kamerateams haben sich postiert. Nicht alle sind wegen Kern gekommen.

„Treffen Sie den deutschen Außenminister?“, ruft ein israelischer Journalist Netanjahu zu. Der israelische Premier antwortet wie eine Sphinx. „Es hat sich nichts geändert.“ Zu diesem Zeitpunkt ist noch nicht klar, dass er seine für den Nachmittag angesetzte Begegnung mit Sigmar Gabriel tatsächlich abbläst. Es gefällt Netanjahu nicht, dass der deutsche Außenminister Termine mit den israelischen Nichtregierungsorganisationen "B'Tselem" und "Breaking the Silence" vereinbart hat.

NGOs als Dorn im Auge

Besonders "Breaking the Silence" ist Netanjahus Regierung ein Dorn im Auge. Denn die Vereinigung ehemaliger israelischer Soldaten weist auch im Ausland unter Bezug auf anonyme Quellen auf Fehlverhalten der Armee in den besetzten Gebieten hin. Das empfinden Israelis als Verrat. Als fast ebenso umstritten gilt "B'Tselem", die immer wieder jüdische Siedlungstätigkeiten und Übergriffe an Kontrollübergängen anprangert. Linke NGOs haben dieser Tage ein schweres Leben in Israel, die Regierung will ihnen per Gesetz das Wasser abgraben und Finanzhilfen auch aus dem Ausland abdrehen.

Christian Kern erfährt von dem deutsch-israelischen Streit schon Montagnacht, und zwar aus erster Quelle an der Bar des King-David-Hotels, in dem auch Sigmar Gabriel abgestiegen ist. In seiner halbstündigen Unterredung mit Netanjahu versucht Kern zu vermitteln. Doch der Premier bleibt hart. Er will sein Gesicht nicht verlieren. Der Eklat ist perfekt. Seit einer Woche drängt er den Außenminister, das Treffen mit den NGOs abzusagen. Die beiden telefonieren am Dienstag noch einmal – und vereinbaren ein Treffen zu einem späteren Zeitpunkt.

Bei seiner Presseerklärung mit Netanjahu verliert derweil Kern kein kritisches Wort. Heikle Themen wie Israels Siedlungspolitik in den besetzten Palästinensergebieten will er erst, wenn überhaupt, hinter verschlossenen Türen ansprechen. Das werden ihm proarabische Genossen in Wien wohl als unausgewogen ankreiden – trotz einer Stippvisite im Westjordanland. Vorrangiges Ziel seines dreitägigen Besuchs ist es, sich als „wahrer Freund Israels“ zu präsentieren, wie er auch ins Gästebuch des israelischen Präsidenten, Reuven Rivlin, geschrieben hat.

Das kommt gut an bei den Gastgebern. Netanjahu bedankt sich beim Kanzler für dessen konsistente Haltung gegen Holocaust-Leugnung und Antisemitismus. An sein Ohr ist auch ein Schlüsselerlebnis in Kerns Familiengeschichte gedrungen: „Ihre Mutter hat verfolgten Juden in Wien Essen gebracht“, erinnert Netanjahu. Und er würdigt auch ausdrücklich Kerns Teilnahme am Staatsakt zum Auftakt des Holocaust-Tags in der Gendenkstätte Yad Vashem.

„Das war alternativlos. Wir haben eine moralische Verpflichtung gegenüber Israel“, antwortet Kern. Es habe viel zu lange gedauert, bis Österreich 1993 endlich Verantwortung für die Nazi-Verbrechen gegen Juden übernommen habe. Er besucht Yad Vashem insgesamt drei Mal: am Sonntag die Zeremonie, am Montag das Holocaust-Museum und die Kranzniederlegung, und am Dienstag pflanzt er auch noch einen Baum.

Brücke in die Zukunft

„Wir haben stärkere Bande denn je. Wir sind wahre Freunde Israels und des jüdischen Volkes“, sagt Kern, um dann auch die Brücke in die Zukunft zu schlagen. Österreich könne viel von Israel lernen. Israel sei für die ganze Welt ein Vorbild als Start-up-Nation.

Der Besuch von Gründerfirmen ist neben dem Holocaust-Gedenken der zweite Schwerpunkt von Kerns Israel-Besuch. Zum Media Quarter Jerusalem, einem Start-up-Campus, begleitet ihn auch seine Frau, Eveline Steinberger-Kern, die selbst eine Firma in Israel mitgegründet hat. Dort schließt sich auch ein politischer Kreis. Initiator des Media Quarters ist Erel Margalit, einer der Kandidaten für die Wahl eines neuen Vorsitzenden in der israelischen Arbeitspartei am 4. Juni. Kern trifft zudem den amtierenden Parteichef, Yitzhak Herzog, ebenso wie Yair Lapid, den charismatischen Anführer der Oppositionspartei Yesh Atid, die in Umfragen zuletzt vorn lag.

Kern gewinnt Einblick in Israels Parteienspektrum. Am Dienstagmorgen spricht er mit Verteidigungsminister Avigdor Lieberman. Dabei macht der Chef der rechtsnationalen Partei Unser Zuhause Israel innerpalästinensische Streitereien für den Stillstand im Nahost-Friedensprozess verantwortlich. Ihm schwebt ein Gebietstausch vor. Dafür wäre Lieberman bereit, sein Haus aufzugeben. Er wohnt so wie mehrere andere israelische Minister in einer Siedlung im besetzten Westjordanland.

Kern hatte sich schon nach seinem Treffen mit Palästinenserpremier Rami Hamdallah in Ramallah keinen Illusionen hingegeben. Die Nahost-Verhandlungen stecken seit Jahren fest. Daran wird auch Donald Trump nichts ändern, der am 3. Mai Palästinenserpräsident Abbas im Weißen Haus empfängt.

Die Entfremdung zwischen Israelis und Palästinensern schreitet voran. Eine der wenigen Inseln intensiver Begegnung ist die Hand-in-Hand-Schule in Jerusalem, in der jüdische und arabische Kinder gemeinsam lernen. Kern erfährt bei dem Besuch, dass der Schule, die der legendäre altösterreichische Bürgermeister Teddy Kollek ins Leben rief, das Geld ausgeht. Mitunter findet der Unterricht im Luftschutzbunker statt, weil es nicht genug Klassenräume gibt.

Doch Kern kann nicht lange bleiben. Er muss weiter. Zu Netanjahu. Kern lädt ihn ein, noch heuer nach Wien zu kommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2017)

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