Alle Teilnehmer des EU-Außenministertreffens seien sich im Klaren gewesen, "dass sich die rechtsstaatliche Situation in der Türkei in den letzten Wochen jedenfalls aus europäischer Perspektive weiter verschlechtert hat".
EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn hat nach den EU-Beratungen zur Türkei in Valletta klargestellt, dass die Beitrittsverhandlungen mit Ankara derzeit nicht weiterverfolgt werden. Im Bereich Rechtstaatlichkeit sei "eigentlich keine Verhandlungsmasse gegeben", europäische und internationale Rechtstaatlichkeitsstandards seien vielmehr zu akzeptieren und umzusetzen, sagte Hahn am Samstag.
"Aus der Sicht der großen Mehrzahl der Mitgliedstaaten ist die Frage der Beitrittsverhandlungen nicht wirklich etwas Brennendes", sagte Hahn. Alle Teilnehmer des EU-Außenministertreffens seien sich im Klaren gewesen, "dass sich die rechtsstaatliche Situation in der Türkei in den letzten Wochen jedenfalls aus europäischer Perspektive weiter verschlechtert hat", sagte Hahn. Schon im Dezember habe die EU festgehalten, dass aufgrund der Situation keine neuen Verhandlungskapitel eröffnet würden. "An diesem Befund hat sich nichts geändert. Es war aber auch die Einschätzung aller, dass man mit der Türkei zusammenarbeiten muss. Es hat keiner davon geredet, dass Türen zuzuschlagen sind", sagte Hahn.
Schnittmenge
Als mögliche Themen, "wo man auf eine mehr rationale Form der Zusammenarbeit kommt", nannte der EU-Kommissar die Ausweitung der Zollunion, die Zusammenarbeit zur Terrorismusbekämpfung, Sicherheitsfragen und die Wirtschaftsentwicklung. "Die wirtschaftliche Situation in der Türkei wird ja nicht besser, sondern im Gegenteil. Aus europäischer Sicht gibt es natürlich ein Interesse, gerade auch von den NATO-Mitgliedstaaten, dass man die Situation in der unmittelbaren Nachbarschaft einigermaßen stabil hält."
Hahn kündigte an, dass sich die EU-Kommission spätestens im Frühjahr 2018 im Rahmen der Fortschrittsberichte zu den EU-Kandidatenländern die Umsetzung der geplanten türkischen Verfassungsreform anschauen wird. Darüber hinaus gebe es Debatten im EU-Parlament, in den Niederlanden fordere das Parlament ein Aktivwerden der EU-Kommission. "Ich kann jetzt nicht vorhersagen, ob der in Aussicht genommene Fahrplan hält, oder ob wir vorher schon Maßnahmen ergreifen oder ergreifen müssen."
Der EU-Kommissar widersprach der Darstellung des deutschen Außenministers Sigmar Gabriel, wonach Österreichs Chefdiplomat Sebastian Kurz (ÖVP) in der Runde auf Malta nicht den Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei verlangt habe. "Der österreichische Außenminister hat die österreichische Position, die hinlänglich bekannt ist, wieder vorgetragen, fast wortident zu dem, was er im Dezember gesagt hat. Ich weiß nicht, wie der Kollege Gabriel zu dieser Einschätzung gekommen ist." Österreich sei aber mit dieser Forderung alleine, "was die finale Konsequenz anbelangt. In der Analyse sind sich ja viele einig. Aber in den Schlussfolgerungen gibt es unterschiedliche Sichtweisen."
Absage für Kurz
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat klargestellt, dass die EU nicht an ein Ende der Beitrittsverhandlungen denkt. "Der Beitrittsprozess geht weiter. Er wird nicht suspendiert oder beendet", sagte Mogherini am Freitag nach Beratungen der EU-Außenminister in Valletta. Derzeit gebe es aber keine Arbeiten an der Eröffnung neuer Verhandlungskapitel. Mogherini erteilte damit der Forderung von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) nach einem Ende der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara eine Absage.
Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu habe erklärt, dass die Türkei an einer Fortsetzung der EU-Beitrittsgespräche interessiert sei. Die Türkei wisse, welche Prinzipien dafür zu erfüllen seien, sagte Mogherini. Sie nannte etwa die Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit und Medienfreiheit. Auf die Frage, ob die Türkei nach den geplanten Verfassungsänderungen noch die politischen Kopenhagener Kriterien für einen EU-Beitritt erfülle, sagte Mogherini, dies hänge von der Art und Weise ab, wie die Türkei die geplanten Verfassungsänderungen umsetze. Einige würden wohl früher kommen, andere erst später.
Tajani fordert Erdogan zu Haltungsänderung auf
EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani hat den türkischen Staatspräsidenten unterdessen aufgefordert, seine Haltung zu ändern. "Europa ist nicht islamophob. Wir wollen nicht die Türen zur Türkei zumachen. Aber einige Dinge wie die Todesstrafe sind nicht akzeptabel".
Tajani erklärte beim Brexit-Gipfel der EU-27 in Brüssel am Samstag, es sei auch inakzeptabel, Journalisten einzusperren. "Die Pressefreiheit ist ein Eckpfeiler der Demokratie." Auch das Verhaften von Oppositionellen stehe nicht in Einklang mit EU-Werten.
Gleichzeitig gebe es wirtschaftliche Beziehungen zur Türkei und den Flüchtlingsdeal. "Deswegen hoffe ich, dass die Türkei einige ihrer kürzlich eingenommenen Positionen ändern wird. Und dass die Türkei künftig sich wieder mehr den Werten zuwendet, die sie gewählt hatte, als sie die Initiative Richtung EU gestartet hat."
(APA/AFP)