Der Präsident ließ sich gestern zum Chef der Regierungspartei AKP wählen - und durchbrach damit eine jahrzehntelange Tradition, die die Trennung der beiden Posten vorsieht. Bei seiner Rede griff er seine Gegner scharf an.
Istanbul. Mit scharfen Drohungen an seine Gegner katapultierte sich der türkische Präsident am Sonntag wieder an die Spitze der Regierungspartei AKP. Bei einem Sonderparteitag in Ankara ließ sich Recep Tayyip Erdoğan wieder zum Parteichef wählen und donnerte: „Wenn dieser Kampf nicht entschieden geführt wird, droht dem Land große Gefahr.“ Der Staatschef trat als einziger Kandidat für den Parteivorsitz an.
Unter den neuen Regeln, die bei dem umstrittenen Referendum im April beschlossen wurden, darf der türkische Präsident anders als zuvor auch Mitglied einer politischen Partei sein. Die jahrzehntelange Tradition, wonach der türkische Präsident als überparteiliche Instanz über der Tagespolitik stand, wurde damit gestern aufgegeben: Erdoğan ist der erste Staatschef seit mehr als einem halben Jahrhundert, der auch Parteivorsitzender ist.
Keine Forderung nach Todesstrafe
In seiner Parteitagsrede unterstrich Erdoğan, er sei auch für Bürger da, die ihn nicht gewählt hätten. Niemand solle sich ausgegrenzt fühlen. „Mit harter Faust“ werde er jedoch gegen „Verrat“ vorgehen, sagte der Präsident mit Blick auf die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, den er für den Putschversuch des vergangenen Jahres verantwortlich macht. Zur Entlassung und Festnahme von rund 150.000 mutmaßlichen Gülen-Anhängern seit dem Putschversuch sagte der Präsident, beim Kampf gegen Gülen solle mehr „Sensibilität“ an den Tag gelegt werden. Dennoch werde weiter mit Entschiedenheit gegen die Bewegung vorgegangen. Dasselbe gelte für den Kampf gegen die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), bei dem es darum gehe, die Kurdenrebellen vollständig zu „vernichten“. Der nach dem Putschversuch verhängte Ausnahmezustand bleibe bis auf Weiteres in Kraft.
Der EU warf er indes vor, die Europa-Bewerbung seines Landes absichtlich in eine Sackgasse geführt zu haben. An diesem Mittwoch will der türkische Präsident in Brüssel mit den EU-Spitzen über die Zukunft der türkischen EU-Kandidatur sprechen. Die Europäische Union solle Wort halten, die Visapflicht aufheben und neue Verhandlungskapitel in den Beitrittsgesprächen eröffnen, verlangte gestern der Staatschef. Sonst werde die Türkei eben ihren Weg allein fortsetzen. Auf die erneute Forderung nach Einführung der Todesstrafe verzichtete er jedoch. Ein solcher Schritt wäre das Aus für die türkische EU-Beitrittskandidatur. Auch neue Drohungen im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsabkommen blieben aus.
Mit Erdoğans Wiederwahl zum Parteivorsitzenden wird die AKP mit Blick auf die Wahl in zwei Jahren ganz auf die Linie des Präsidenten gebracht. Im neuen AKP-Vorstand fehlen Politiker, die von Erdoğan für das starke Abschneiden der Regierungsgegner beim Referendum verantwortlich gemacht wurden. Dafür rücken Anhänger wie der Medienunternehmer Ethem Sancak in die Führung auf. Mit besonderer Aufmerksamkeit wurde die Beförderung von Innenminister Süleyman Soylu in die AKP-Führung registriert; nach Einschätzung einiger Beobachter wird der 47-Jährige als möglicher Nachfolger Erdoğans aufgebaut.
„Architekt der türkischen Erleuchtung“
Der Parteitag zelebrierte einen Personenkult um Erdoğan. Ministerpräsident Binali Yildirim dichtete einen berühmten Spruch von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk – „Wie glücklich ist, wer sagt: Ich bin Türke“ – auf Erdoğan um: „Wie glücklich sind wir, die wir sagen, dass wir die Weggefährten des Architekten der türkischen Erleuchtung, Recep Tayyip Erdoğan, sind.“
Kurz vor dem Parteitag hatten die Behörden zahlreiche Mitarbeiter der Zeitung „Sözcü“ festgenommen; die drittgrößte Zeitung des Landes gehört neben „Cumhuriyet“ zu den wenigen Erdoğan-kritischen Blättern. Zahlreiche Journalisten von „Cumhuriyet“ sitzen in Haft.
AUF EINEN BLICK
Gut einen Monat nach seinem Sieg beim
umstrittenen Verfassungsreferendum in der Türkei wird Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan wieder Vorsitzender der Regierungspartei AKP. Bei einem Sonderparteitag am Sonntag in Ankara trat Erdoğan als einziger Kandidat an. Der Chefposten verschafft dem Staatspräsidenten nun noch mehr politischen Einfluss.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2017)