Die Regierung wittert neue Putschpläne, die türkische Nato-Offiziere in Europa planen würden. Die Asylanträge einer Reihe von Militärs sind für Erdoğan ein Zeichen, dass sich Staatsfeinde ungestört ins Ausland absetzen können.
Istanbul. Die türkische Regierung fühlt sich von Feinden umringt. Dass Leibwächter von Präsident Recep Tayyip Erdoğan vorige Woche in Washington auf Demonstranten losgingen, wird in Ankara nicht als Entgleisung, sondern als notwendige Verteidigung gegen Provokateure gesehen. Die Asylanträge von Erdoğan-kritischen türkischen Militärs in Europa und besonders in Deutschland sind aus Sicht des Präsidenten ebenfalls ein Zeichen dafür, dass sich türkische Staatsfeinde im westlichen Ausland ungestört tummeln dürfen und dort sogar unterstützt werden. Die Beziehungen kommen aus ihrer Dauerkrise nicht heraus.
Beim Nato-Gipfel in Brüssel und in seinen Begegnungen mit Spitzenpolitikern wie Bundeskanzlerin Angela Merkel habe Erdoğan nachdrücklich davor gewarnt, Anhänger seines Erzfeindes Fethullah Gülen in westlichen Ländern gewähren zu lassen, berichten regierungsnahe Blätter in der Türkei. Konkret warf Erdoğan der Merkel-Regierung in Berlin vor, Terroristen Asyl zu gewähren. Asiatische Staaten wie Malaysia schieben mutmaßlichen Gülen-Anhänger in die Türkei ab. Diese Art von Kooperation wünscht sich Ankara auch von den USA und den EU-Ländern, die bisher jedoch abwinken. Diese Weigerung verstärkt den Verdacht von Erdoğan-Anhängern, der Westen spinne eine neue Intrige gegen die Türkei.
Warten auf den „zweiten Aufstand“
Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen türkische Nato-Offiziere, die nach dem Putschversuch im Juli als mutmaßliche Gülen-Anhänger entlassen wurden. Viele von ihnen weigerten sich, in die Türkei zurückzukehren, und arbeiteten in Europa an neuen Putschplänen, das meldeten jedenfalls Erdoğan-nahe Zeitungen am Donnerstag.
Dabei geht es keinesfalls um Einzelfälle: Von den 462 türkischen Offizieren bei der Nato seien 237 wegen Verbindungen zu Gülen aus der Armee ausgestoßen worden, berichtete die Zeitung „Yeni Şafak“. Diese Militärs, darunter auch Generäle, werden in der Türkei als Staatsfeinde betrachtet. Auf Befehl des in den USA lebenden Gülen hätten 40 Offiziere um Aufnahme in Deutschland gebeten, heißt es weiter im Bericht. Weitere 23 wollten Asyl in Belgien, zehn in den Niederlanden und fünf in Norwegen. Dort sollten die Militärs auf den Befehl für einen „zweiten Aufstand“ warten.
Auch die regierungstreue Zeitung „Takvim“ berichtete von angeblichen Vorbereitungen der Ex-Offiziere für einen neuen Putsch. Insbesondere in Mittelmeerstaaten wie Griechenland, Kroatien und Albanien werde an neuen Umsturzplänen gearbeitet. Die konservative „Yeni Şafak“ warf der Nato vor, mit den Erdoğan-Gegnern in Uniform zu kooperieren. Ein solcher Verdacht wird nicht nur in der Regierungspresse geäußert. Erdoğan selbst stellte vor wenigen Tagen die Frage, warum die USA nach wie vor den Prediger Gülen beschützten; Washington verweigert die Auslieferung des Geistlichen, der seit 1999 in Pennsylvania lebt.
Aus dem Blickwinkel des Präsidenten betrachtet, ist das Nein Ankaras zu deutschen Politikerbesuchen bei den Bundeswehrsoldaten auf dem südtürkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik deshalb keine Erpressung, wie die Deutschen das sehen – sondern lediglich konsequent. Berlin denkt daher laut über einen Umzug nach Jordanien nach. Wenn die Bundeswehr aus Incirlik abziehen sollte, kümmere das die Türken nicht weiter, sagt Erdoğan dazu.
Knackpunkte Incirlik und Gülen
Der Streit um Incirlik macht deutlich, wie schwierig der Umgang des Westens mit einer Regierung ist, die ihren Partnern eine Zusammenarbeit mit türkischen Staatsfeinden vorwirft. Eine Auslieferung von Asylbewerbern aus EU-Ländern an die Türkei, wo unter den derzeitigen Zuständen erhebliche Zweifel an rechtsstaatlichen Verfahren bestehen, ist unwahrscheinlich. Mit seiner Hexenjagd auf Andersdenkende steht sich Erdoğan gewissermaßen selbst im Weg.
Ähnliches gilt für die Beziehungen zu den USA. Der Auswärtige Ausschuss des Repräsentantenhauses in Washington verabschiedete jetzt eine Resolution, in der das Vorgehen von Erdoğans Leibwächtern vergangene Woche in der US-Hauptstadt scharf verurteilt wird: Dass die Personenschützer unbewaffnete Demonstranten verprügelten, werfe kein gutes Licht auf die Türkei, erklärten die Abgeordneten. Ankara wies die Resolution zwar zurück – doch die Gewalt dürfte die Chancen, die USA zu einer Auslieferung Gülens zu bewegen, erheblich verschlechtert haben.
AUF EINEN BLICK
Putsch. Der türkischen Regierung zufolge planen Nato-Offiziere, die der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen nahestehen sollen, einen weiteren Aufstand in der Türkei. Regierungsnahe Zeitungen berichten, dass von 462 türkischen Offizieren bei der Nato 237 wegen Gülen-Verbindungen aus der Armee ausgeschlossen wurden. Ankara macht den Prediger für den Putschversuch von vergangenem Juli verantwortlich und verlangt seine Auslieferung aus den USA.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2017)