Dem Präsidenten kommen erste Minister abhanden. Das könnte auch eine Chance für ihn sein.
Paris. Noch vor einer für Mittwochnachmittag angekündigten Regierungsumbildung in Frankreich reichten vier wichtige Minister ihren Rücktritt ein. Mit Justizminister François Bayrou, Verteidigungsministerin Sylvie Goulard und Marielle de Sarnez handelt es sich um die Führungsspitze des zentrumsdemokratischen Koalitionspartners Modem (Mouvement démocrate) sowie den Ex-Sozialisten Richard Ferrand. Dadurch wird das Gleichgewicht in der Regierungskoalition infrage gestellt.
Zugleich ist das Ausscheiden der Modem-Leute für Präsident Emmanuel Macron aber auch eine Chance. Es erlaubt ihm, zusätzlich bisherige Konservative oder Sozialisten aus der Opposition in die Regierung zu holen. Damit könnte er seine Koalition erweitern und zugleich die Spaltung in diesen Parteien verstärken. Die Abgeordneten der konservativen Les Républicains haben sich am Mittwoch in zwei Fraktionen gespalten: Eine will klare Opposition machen, die andere eine „konstruktive Haltung“ zur Regierung einnehmen.
Die Ernennung der künftigen Minister hätte eigentlich eine Formsache sein sollen. Doch einige von ihnen wurden von ihrer Vergangenheit eingeholt. Das betrifft nun nicht mehr nur den Ex-Minister für territoriale Kohäsion, Ferrand, der in seinem bretonischen Wahlkreis trotz Ermittlungen wegen Begünstigung seiner Partnerin bei Immobiliengeschäften als Abgeordneter bestätigt worden ist. Ferrand, gegen den kein Strafverfahren läuft, fühlt sich dadurch moralisch rehabilitiert. Er hatte dennoch seinen Rücktritt als Minister angekündigt, um Fraktionschef von Macrons Bewegung La République en marche zu werden.
Anlass für den Rücktritt der Modem-Minister ist die Untersuchung wegen der Beschäftigung von parlamentarischen Assistenten für die Zwecke der Partei. Auch für Bayrou, der durch Aussagen früherer Assistenten selber nicht belastet worden ist, wurde damit die Lage unhaltbar. Er ist nicht nur Parteichef von Modem, sondern war auch Justizminister. Damit war er für die Gesetzesvorlage zuständig, die zu der von Macron versprochenen „Moralisierung der Politik“ führen soll. In dem Gesetz sollen die Transparenz verbessert, die Beschäftigung von Familienangehörigen durch Abgeordnete untersagt und das Risiko von Interessenkonflikten reduziert werden.
Strengere Kriterien
Natürlich können diese neuen Artikel, die im Sommer dem Parlament zur Verabschiedung unterbreitet werden, nicht rückwirkend angewandt werden. Doch für die öffentliche Meinung gelten diese viel strengeren Kriterien bereits. Bisher galt als ungeschriebene Regel, dass ein Minister zurücktritt, wenn ein Strafverfahren eingeleitet wird. Jetzt reicht schon der bloße Verdacht auf unmoralisches Verhalten oder fahrlässigen Umgang mit öffentlichen Geldern.
Marielle de Sarnez, Bayrous rechte Hand, wird ebenfalls verdächtigt, parlamentarische Assistenten der Partei zur Verfügung gestellt zu haben. Der Name der Verteidigungsministerin Sylvie Goulard fiel auch im Zusammenhang mit der Affäre. Sie trat aus eigener Darstellung zurück, um sich ungehindert gegen unbegründete Anschuldigungen verteidigen zu können.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2017)