Merkel kann sich Ehe für alle doch vorstellen

Angela Merkel stellte sich den Fragen der "Brigitte" vor Live-Publikum in Berlin.
Angela Merkel stellte sich den Fragen der "Brigitte" vor Live-Publikum in Berlin.APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ
  • Drucken

Die deutsche Kanzlerin kann sich eine Abstimmung ohne Fraktionszwang im Bundestag vorstellen. In diesem Fall wäre die gleichgeschlechtliche Ehe rasch beschlossen.

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel ist von dem klaren Nein ihrer CDU zur Ehe für alle abgerückt. In einer Veranstaltung mit der Zeitschrift "Brigitte" sagte Merkel am Montagabend in Berlin, sie wünsche sich eine Diskussion, die "eher in Richtung einer Gewissenentscheidung geht".

Bei einer Abstimmung im Bundestag ohne Fraktionszwang gilt eine Mehrheit für die gleichgeschlechtliche Ehe als sicher. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hat Merkel die Linie mit CSU-Chef Horst Seehofer abgesprochen.

SPD, Grüne und FDP haben die völlige Gleichstellung von Homosexuellen bei der Ehe zur Bedingung für eine Koalition gemacht. Auch die Linke fordert die Ehe für alle. Merkel sagte, sie habe natürlich zur Kenntnis genommen, wie jetzt alle Parteien außer der Union zu dem Thema stünden. Und die rechtspopulistische Alternative für Deutschland komme als Koalitionspartner nicht in Frage.

Sie sei "bekümmert", sagte die Kanzlerin, dass diese sehr individuelle Frage Gegenstand von "Parteitagsbeschlüssen und plakativen Dingen" sei. Sie wolle mit der CDU und der CSU "anders darauf reagieren". Sie selbst und viele Mitglieder in der Union beschäftigten sich intensiv mit dem Thema.

Merkel betonte: "Ich wünsche mir, dass trotz Wahlkampfs die Diskussion mit Respekt und Achtung geführt wird." Sie wünsche sich Respekt vor Menschen, die sich schwer mit der Frage tun und kirchlich gebunden seien.

Sie wolle gern eine Diskussion "eher in Richtung einer Gewissenentscheidung" und keine Mehrheitsbeschlüsse "durchpauken". Gleichgeschlechtliche Paare hätten dieselben Werte.

"Plötzlich holterdiepolter"

Sie finde es aber seltsam, dass in der Koalition mit der SPD in vier Jahren darüber nicht richtig gesprochen worden sei und es "plötzlich holterdiepolter" gehen solle.

Merkel, die im vorigen Bundestagswahlkampf Adoptionen von gleichgeschlechtlichen Paare noch mit dem Argument des Kindeswohls ablehnte, berichtete nun von einem "einschneidenden Erlebnis" in ihrem Wahlkreis. Dort sei sie von eine lesbischen Frau eingeladen worden, zuhause bei ihr und ihrer Partnerin vorbeizuschauen und zu sehen, dass es ihren acht Pflegekindern gut gehe.

Merkel sagte, wenn das Jugendamt einem lesbischen Paar acht Pflegekindern anvertraue, könne der Staat nicht mit dem Kindeswohl gegen Adoptionen argumentieren.

Merkel nicht nachtragend

Merkel nahm auch zu heftigen Attacken durch SPD-Chef Martin Schulz am Wochenende Stellung. "Eigentlich habe ich Martin Schulz immer anders erlebt.".Sie fügte aber hinzu: "Schwamm drüber."

Die CDU-Chefin sagte weiter, die Unionsparteien würden ja bereits Anfang nächster Woche ihr Wahlprogramm vorstellen. SPD-Kanzlerkandidat Schulz hatte Merkel und der Union am Sonntag vorgeworfen, sich inhaltlichen Debatten im Bundestagswahlkampf zu verweigern. "Ich nenne das einen Anschlag auf die Demokratie", sagte Schulz in seiner Rede auf dem Dortmunder Parteitag.

Vertreter von CDU und CSU reagierten mit Empörung auf die Attacke. Merkel sagte abschließend: "Ich habe es mit Interesse zur Kenntnis genommen - und möchte mich jetzt weiter mit Demokratiestärkung beschäftigen."

(APA/dpa)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Merkel will Vollbeschäftigung bis 2025.
Außenpolitik

Deutschland: Der neue „echte Gemeinschaftsgeist“ in der Union

Angela Merkel und Horst Seehofer versprechen „Vollbeschäftigung“ bis 2025, Steuerentlastungen und mehr Geld für Familien.
Der CDU geht es ein bisschen zu schnell. Angela Merkel hat mir ihrem Kurswechsel den Weg frei gemacht - auch für Finanzstaatssekretär Jens Spahn (li.), der für die "Ehe für alle" stimmen möchte.
Außenpolitik

Deutschland: Die "Ehe für alle" kommt am Freitag

SPD, Linke und Grüne setzten das Thema auf die Tagesordnung. Das widerstrebt selbst den Homo-Ehe-Befürwortern der Konservativen, die jedoch dafür stimmen werden.
Außenpolitik

Deutschland: Angela Merkels Eheversprechen

Die Kanzlerin macht den Weg für die „Ehe für alle“ frei, um selbst nach der Wahl einen Partner zu finden. Mit ihrem Schwenk rüttelt sie an einem ehernen Grundsatz ihrer Partei.
Auch in Deutschland könnten homosexuelle Paare bald heiraten dürfen.
Außenpolitik

Ehe für alle: Merkel bewegt sich, SPD drängt, Union bremst

Merkel hebt den Fraktionszwang der Union in der Frage auf. Die SPD will nächste Woche abstimmen. Manche Unions-Abgeordnete wollen das Thema "überhaupt nicht im Bundestag haben".
Archivbild eines Abstimmung im deutschen Bundestag in Berlin.
Außenpolitik

Wenn das Gewissen mehr wert ist als die Fraktion

Wenn die Parteichefs einen Gewissensentscheid ausrufen - so wie im deutschen Bundestag bei der Ehe für alle -, können Abstimmungen politisch entzerrt werden.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.