Gericht: Niederlande mitverantwortlich für 350 Srebrenica-Opfer

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Das Berufungsgericht in Den Haag stellt eine begrenzte Verantwortung der niederländischen UN-Soldaten beim Massaker in Bosnien fest. Auch die Soldaten ziehen gegen den Staat vor Gericht.

Mehr als 20 Jahre nach den Massakern an Muslimen im bosnischen Srebrenica hat ein Gericht die Niederlande erneut für den Tod von 350 Opfern mitverantwortlich gemacht. Allerdings hob das Berufungsgericht in Den Haag am Dienstag ein Urteil aus erster Instanz teilweise auf und stellte nur eine begrenzte Verantwortung des Heimatstaates der UN-Soldaten für die von Serben verübten Kriegsverbrechen fest.

Die Angehörigen von rund 6000 Opfern, die "Mütter von Srebrenica", hatten die Zivilklage gegen die Niederlande angestrengt.

Nach der Einnahme der ostbosnischen UNO-Schutzzone Srebrenica am 11. Juli 1995 durch die bosnisch-serbischen Truppen wurden in der Umgebung der Kleinstadt rund 8000 muslimische Stadteinwohner brutal ermordet. Ihre Leichen wurden nach dem Kriegsende in mehreren Massengräbern in der Umgebung der Kleinstadt entdeckt. Nach 900 bis 1000 vermissten Stadteinwohnern wird weiterhin gesucht.

Munira Subasic, die Leiterin des Verbandes "Mütter von Srebrenica", hat sich nach der Entscheidung des Gerichtes enttäuscht gezeigt. Es würde sich um die Diskriminierung der Opfer handeln, meinte Subasic. Die Leiterin der nicht-staatlichen Organisation meinte gegenüber dem Sender "Free Europe", dass das Urteil von der "Heuchelei" der UNO-Soldaten und des niederländischen Staates zeugen würde, die abgelehnt hätten, die gesamte Stadtbevölkerung in Schutz zu nehmen. Im Stützpunkt habe es Platz für 50.000 Menschen gegeben, ist Subasic überzeugt. Immerhin sei wenigstens irgendeine Verantwortung der Niederlande festgestellt worden.

Niederlande wiesen Verantwortung von sich

Für die UNO-Schutzzone waren im Juli 1995 die niederländischen "Blauhelme" verantwortlich. Als die serbischen Truppen in die Kleinstadt einrückten, hatten rund 300 Stadteinwohner Zuflucht in ihrem Lager im naheliegenden Potocari gefunden. Als dann die serbischen Truppen am 13. Juli 1995 in das Lager einrückten, leistete die schlecht ausgerüstete niederländische UN-Truppe Dutchbat keinen Widerstand. Einem UN-Bericht zufolge überließ sie alle Beobachtungsposten und Sperranlagen widerstandslos den bosnischen Serben unter Führung von General Ratko Mladic, der zurzeit auf ein Urteil des Haager UN-Kriegsverbrechertribunals wegen des Völkermords von Srebrenica sowie Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wartet.

Der niederländische Staat wies nach dem Bosnien-Krieg jegliche Verantwortung für das Massaker von Srebrenica zurück - unter anderem, weil seine Soldaten unter UN-Führung standen.

Niederlande legten 2014 Berufung ein

Im Juli 2014 hatte ein Haager Gericht auf Basis einer im Jahr 2007 eingereichten Anklage des Verbandes "Mütter von Srebrenica und Zepa" auf 300 Seiten entschieden, dass der niederländische Staat für den Tod von rund 300 der 8000 ermordeten muslimischen Männer und Burschen doch mitverantwortlich war. Es ging um jene Männer, die Zuflucht in Potocari gefunden hatten und nicht den bosnisch-serbischen Truppen ausgeliefert werden hätten dürfen.

Der niederländische Staat legte im Oktober 2014 Berufung ein. Wie das niederländische Verteidigungsministerium damals mitteilte, würde das Urteil in erster Instanz die künftigen UN-Einsätze der niederländischen Armee gefährden.

Die niederländische Justiz hatte den Staat in einem anderen Verfahren schon im September 2013 für den Tod von drei Bosniern in Srebrenica haftbar gemacht. Das Kassationsgericht in Den Haag bestätigte damals ein früheres Urteil, wonach die Blauhelme die Männer nicht den Serben ausliefern hätten dürfen. Die niederländische Regierung sagte den Angehörigen daraufhin jeweils 20.000 Euro Entschädigung zu.

Soldaten fordern Entschädigung

Die mehr als 200 niederländische Ex-Blauhelmsoldaten fordern von ihrer Regierung Entschädigungen für ihre Entsendung in die damalige UN-Schutzzone. Seine 206 Mandanten verlangten eine Entschädigung von jeweils 22.000 Euro (insgesamt rund 4,5 Millionen Euro), sagte der Anwalt Michael Ruperti am Montagabend in der Talksendung "Jinek".

Die betroffenen Ex-Blauhelme erlitten noch immer Nachteile in allen Lebensbereichen, sagte der Anwalt. "Sie glauben, dass das Verteidigungsministerium dafür verantwortlich gemacht werden sollte", sagte er.

Die niederländische Verteidigungsministerin Jeanine Hennis-Plasschaert hatte im vergangenen Jahr eingeräumt, dass die Blauhelme "ohne angemessene Vorbereitung" nach Bosnien geschickt worden seien. Es sei eine "unrealistische Mission unter unmöglichen Umständen" gewesen. Auf diese Äußerung berufen sich nun die klagenden Ex-Soldaten.

(APA/dpa)

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