Erster Schritt zum Ende von Obamacare unternommen

John McCain wollte nur eine Woche nach seiner Tumoroperation wieder im Washingtoner Machtpoker mitspielen.
John McCain wollte nur eine Woche nach seiner Tumoroperation wieder im Washingtoner Machtpoker mitspielen. REUTERS
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Der krebskranke McCain und Vizepräsident Pence gaben mit ihrer Stimme den Ausschlag. Mit knappest möglicher Mehrheit wurde für eine Debatte über ein Alternativgesetz gestimmt.

Wien/Washington. In Washington werden in diesen Hochsommertagen Erinnerungen an Edward Kennedy wach, den „Löwen“ des Senats und Bruder John F. Kennedys, der vor bald acht Jahren einem Hirntumor erlag. Obamacare, die Gesundheitsreform Barack Obamas, erlebte der legendäre demokratische Senator nicht mehr – er starb sieben Monate vor dem Beschluss des Gesetzes, für das er sich zeit seines politischen Lebens so vehement eingesetzt hatte. Und er muss auch nicht dabei zusehen, wie es jetzt doch wieder auf der Kippe steht.

Denn der US-Senat hat seinen ersten Schritt zur Abschaffung von "Obamacare" unternommen. Er stimmte am Dienstag unter Protesten und "Schande"-Rufen mit knappest möglicher Mehrheit dafür, eine Debatte über ein Alternativgesetz zu eröffnen. Die Republikaner verfügen in der zweiten Parlamentskammer mit 52 gegenüber 48 Sitzen aufseiten der Demokraten nur über eine sehr knappe Mehrheit. So musste Vizepräsident Mike Pence das Unentschieden mit seiner Stimme brechen, weil zwei republikanische Senatorinnen mit Nein stimmten.

Die 50. Stimme kam von Senator John McCain, der trotz einer Gehirnoperation und einer Krebserkrankung eigens zur Abstimmung nach Washington gekommen war. Die Politik ist McCains Lebenselixier, und schon kurz nach dem Eingriff in der Mayo-Klinik in Phoenix hatte er mit einem Freund, dem Senator Lindsey Graham, am Telefon bereits wieder über drängende außenpolitische Fragen und die Chancen für eine Aufhebung der Gesundheitsreform Obamas und den Spalt, der durch die Reihen der Republikaner geht diskutiert; zwischen dem moderaten Flügel, der den Gesetzesentwurf als zu radikal ablehnt, und den Hardcore-Konservativen, denen die Einsparungen nicht weit genug gehen.

Skeptiker in „Grand Old Party“

In einer bewegenden und bemerkenswerten Rede rief McCain seine Kollegen leidenschaftlich dazu auf, bei allem Streit in der Sache wieder überparteilich zusammenzuarbeiten. "Freunde - wir bekommen überhaupt nichts geregelt", sagte der 80-Jährige, gezeichnet von einer langen Narbe über dem Auge. Seine eigene Partei warnte er vor Mauscheleien hinter verschlossenen Türen.

Unter den republikanischen Abgeordneten hatten bis zuletzt mehrere die ersatzlose Abschaffung von Obamacare abgelehnt - trotz der Pressionen und der öffentlichen Drohungen des Präsidenten. „Susan Collins kommt ja aus Maine“, hatte Donald Trump in Anspielung auf den liberalen Neuenglandstaat über die entschiedenste Verfechterin von Obamacare unter den Republikanern gesagt. Trump hatte aber auch andere Skeptiker in der „Grand Old Party“ beim Namen genannt, um den Druck auf sie zu erhöhen. Auch Vizepräsident Mike Pence hatte den Senatoren ins Gewissen geredet.

Der Präsident strich den Abgeordneten einstweilen sogar die Sommerpause, um so doch noch einen Erfolg zu erzwingen. Sieben Jahre hatten die Republikaner für eine Aufhebung der Gesundheitsreform gekämpft, im Wahlkampf war es ihr zentrales Versprechen. Einen überzeugenden Gegenentwurf haben sie indes nie vorgelegt.

Sessions im Visier Trumps

Doch das monatelange Drama um Obamacare hat noch lange kein Ende genommen. Am späten Dienstagabend stimmten die Senatoren bereits mehrheitlich gegen einen Vorschlag, der weite Teile des Gesetzes zu "Obamacare" abgeschafft und ersetzt hätte. In den kommenden Tagen folgen weitere Abstimmungen, den Senatoren stehen langwierige und komplizierte Debatten bevor. Ende der Woche wird dann voraussichtlich über eine Abschaffung und bzw. oder einen Ersatz für "Obamacare" entschieden. Anschließend muss sich nochmals das Abgeordnetenhaus damit befassen, weitere Änderungen sind möglich. Mit dem nun gewählten Verfahren kaufen sich die Republikaner also praktisch Zeit. 

Der Kongress war am Dienstag zwar der Hauptschauplatz, doch die Nebengeräusche aus dem Weißen Haus übertönten zunächst das Gemauschel hinter den Kulissen auf dem Kapitol. Die Aussagen des Trump-Schwiegersohns Jared Kushner über dessen Russland-Connection vor einem Untersuchungsausschuss des Senats blieben weiterhin Gesprächsthema in Washington. Noch brisanter waren freilich Gerüchte über eine Ablöse des Justizministers, Jeff Sessions, die der Präsident mit mehreren Tweets über den „angeschlagenen“ Ressortchef befeuerte. Seine Tage scheinen gezählt. Als Ersatzkandidaten, hieß es, stünden Trump-Freund „Rudy“ Giuliani und Senator Ted Cruz bereit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2017)

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