Wer ist als Nächster dran?

Donald Trump lässt seinen Stabschef Reince Priebus im Regen stehen.
Donald Trump lässt seinen Stabschef Reince Priebus im Regen stehen.(c) APA/AFP/GETTY IMAGES (CHIP SOMODEVILLA)
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Jede Woche ein neues Drama im Weißen Haus. Vier-Sterne-General John Kelly löst Reince Priebus als Stabschef ab. In Washington spekulieren die Experten längst, ob das Köpferollen im Küchenkabinett Donald Trumps weitergehen wird.

Washingtons Insider hätten stutzig werden können, zumal der Präsident sein Herz auf der Zunge trägt – und einige hatten die Witterung auch bereits aufgenommen. Bei einer Rede am Freitagnachmittag vor Polizisten auf Long Island in New York, wo er nebenbei zu einer härteren Gangart gegen Bandenkriminalität und allgemein zu ruppigen Polizeimethoden aufrief, pries Donald Trump Heimatschutzminister John Kelly als „wahrhaften Star“.

Eineinhalb Stunden später, nach der Landung der Air Force One auf dem Luftwaffenstützpunkt Andrews außerhalb von Washington, setzte Trump um 16.49 Uhr eine Twitter-Botschaft ab, in dem er einen Stabwechsel im Weißen Haus bekannt gab – die Ablöse des Stabschefs Reince Piebus durch Kelly, den Vier-Sterne-General. Als er im Regensturm aus der Präsidentenmaschine stieg, warf er den Reportern Stehsätze in typischer Trump-Manier hin: „Reince ist ein guter Mann. John Kelly wird einen fantastischen Job machen.“ Priebus ließ er derweil im Regen stehen.


Wie in „Game of Thrones“. Es ist ein „Shake-up“, wie der frühere New Yorker Immobilien-Tycoon es liebt – im markanten Kontrast zu „No Drama“-Obama. Als Showman und Moderator der Reality-TV-Show „Celebrity Apprentice“ lautete Trumps legendäres Motto: „You're fired.“ Die Reality-Show spielt indessen nicht mehr im Trump Tower in New York, sondern im Weißen Haus in Washington. Und es war wieder einmal ein Freitag, der die Politszene in der US-Hauptstadt durcheinanderwirbelte – wie in der Vorwoche, als Pressesprecher Sean Spicer seinen Rücktritt bekannt gab und Anthony Scaramucci seinen Job als Kommunikationschef antrat. In Anspielung auf ein Blutbad in der Erfolgsserie „Game of Thrones“ sprach ein Mitarbeiter des Weißen Hauses von einer „roten Hochzeit“.

Scaramuccis Ernennung löste eine Dynamik aus, die erst Spicer mitriss und nun Reinhold Richard Priebus, wie der Ex-Parteichef der Republikaner mit vollem Namen heißt. Der Präsident hatte dem 45-Jährigen schon vor zwei Wochen den Abgang nahegelegt, am Donnerstagabend reichte Priebus schließlich sein Rücktrittsgesuch ein – nach einer wüsten Tirade des Kommunikationschefs Scaramucci, die schlagartig Furore machte. Er hatte Priebus in einem Telefongespräch mit Ryan Lizza, dem Reporter des Intellektuellenblatts „New Yorker“, das umgehend publik wurde, als „verdammten, paranoiden Schizophrenen“ geschmäht. Beim gemeinsamen Trip nach Long Island setzte Reince Priebus jedoch noch sein Pokerface auf, und auch bei einem CNN-Interview in der Nacht auf Samstag wollte er kein schlechtes Wort über den Präsidenten verlieren. Auf einen Konter gegen Scaramucci alias „The Mooch“ ließ er sich erst gar nicht ein.


Im Triumph ein „Superstar“. Überraschend kam sein Rücktritt nicht. Von Anfang an umschwirrten ihn Ablösegerüchte, Trump-Vertraute zogen seine Managementqualitäten in Zweifel. Priebus sollte als Washingtoner Insider, geübt in Taktik und Machtspielen, als Bindeglied fungieren zwischen dem Weißen Haus und dem Kongress, zwischen Trump und Paul Ryan, dem Priebus-Freund aus Wisconsin. Als „Speaker“, als Parlamentspräsident, gilt Ryan in der US-Hierarchie nominell als Nummer drei und insgeheim ein wenig auch als Gegenspieler Trumps.

Priebus hatte sich im Wahlkampf am Ende noch auf Trumps Seite geschlagen. Nach Pussy-Gate, dem Skandal um Trumps Sex-Protzereien und seine Grapsch-Affäre, wollte er den Kandidaten wenige Wochen vor der Wahl zum Rückzug bewegen. Dies trägt ihm Trump bis heute nach. Doch in der Wahlnacht holte er Priebus auf die Bühne des Hilton-Hotels, und im Überschwang des sensationellen Triumphs rühmte er ihn als „Superstar“.

Als Stabschef galt Priebus, wie sein Freund Spicer, bald als heillos überfordert. Als Scaramucci im Telefonat mit Lizza den Stabschef offen brüskierte, ihn als „Leaker“ verdächtigte – als einen, der Interna ausplaudert – und schließlich sogar seinen baldigen Rückzug ankündigte, war der Machtkampf zwischen „Kain“ und „Abel“, wie Scaramucci ihn in alttestamentarischer Metaphorik beschwor, entschieden.

Ein halbes Jahr lang hatten Priebus und Stephen Bannon, als Chefstratege die geheimnisumwitterte graue Eminenz, den Aufstieg Scaramuccis nach Kräften blockiert. Nun aber hatten sie das Vertrauen des innersten Zirkels um den Präsidenten, um Tochter Ivanka und Schwiegersohn Jared Kushner verloren. Längst fragen sich die politischen Kreise in Washington: Wer wird der Nächste sein, der, mit falschem Lob bedacht, in Schimpf und Schande aus dem Weißen Haus gejagt wird?

Stephen Bannon, den Scaramucci tief unter der Gürtellinie attackiert hat? Oder Jeff Sessions, der angeschlagene Justizminister, gegen den Trump ein ums andere Mal stichelt? Rex Tillerson, der abgetauchte Außenminister, der sich in seinem Job merklich unwohl fühlt? Der frustrierte Sicherheitsberater H.R. McMaster, dessen Afghanistan-Strategie Trump in den Wind schlug? Und: Wie lang werden das Establishment der Grand Old Party – und noch wichtiger: die Basis der Partei, die Stammwähler – dem chaotischen Treiben im Weißen Haus zusehen?


John McCain als Cato. Was für eine bizarre und turbulente Woche in Washington: das Drama um Obamacare, das Gezerre im Senat und der denkwürdige Auftritt des krebskranken John McCain, der gleichsam als Cato der republikanischen Partei mit einer fulminanten Rede der politischen Elite ins Gewissen redete; Trumps kontroversielle Kundgebung vor 40.000 Pfadfindern in West Virginia, für die hinterher der oberste Pfadfinder Abbitte leistete; sein martialischer Auftritt vor Hardcore-Anhängern in Youngstown in Ohio, im Herzland der Trump-Fans; Scaramuccis vulgäre Schimpforgie und am Ende wieder ein prominenter Abgang aus dem Küchenkabinett.

Das Amt des Stabschefs ist eine, wenn nicht überhaupt die Schlüsselposition im Weißen Haus. Sein Büro im Westflügel liegt in unmittelbarer Nähe des Oval Office. Er entscheidet über Nähe und Zugang zum Präsidenten, er koordiniert den Tagesablauf – und es ist ein so stressiger Job, dass es kaum einen Stabschef je länger als zwei Jahre in seinem Amt hielt. John Kelly fällt die heikle Aufgabe zu, quasi militärische Disziplin in ein notorisch undiszipliniertes Team zu bringen – was ganz oben beginnt, beim Twitter-Präsidenten, der nach Lust und Laune agiert. Noch nie regierte in Washington so viel Chaos.

Organisation, Koordination, Strategie: Das sind die Stärken Kellys, die er während seiner Militärkarriere verinnerlicht hat. Es fehlt ihm an politischem Gespür und Instinkt. In einer Arbeitsteilung soll Vizepräsident Mike Pence die politische Rolle übernehmen. Im innersten Zirkel, in dem eine Kakofonie an Stimmen und Meinungen dominiert, Familienbande mehr zählen als politische Erfahrung, fehlt ein strategischer Kopf mit Autorität. Niemand – außer vielleicht Ivanka und Jared Kushner – gelang es, den unberechenbaren Präsidenten zur Räson zu rufen und ein wenig an die Kandare zu nehmen. Wenn es einer schaffen könnte, so sagten sich Trumps Berater, dann womöglich ein General. John Kelly übernimmt ein Himmelfahrtskommando.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2017)

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