Jordanien: Nein zu Vergewaltiger-Schutz

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Bisher konnten Vergewaltiger eine Haftstrafe umgehen, wenn sie die Opfer heirateten. Das Parlament hat dieses Gesetz nun aufgehoben.

Kairo/Amman. Das seit Jahrzehnten geltende Gesetz in Jordanien mutete geradezu mittelalterlich an: Vergewaltiger konnten bisher einer Gefängnisstrafe entgehen, wenn sie ihre Opfer heirateten. In dieser Woche hat das Unterhaus des jordanischen Parlaments das Gesetz ersatzlos gestrichen; das Oberhaus muss noch zustimmen. Nach dem Votum kam es zu regelrechten Tumulten im Parlament: Bei der Verkündung des Abstimmungsergebnisses klatschten und feierten viele Abgeordneten, andere schrien erbost durch den Plenarsaal. Auf den Besucherrängen erhoben sich die Anwesenden, darunter viele Frauen, zu Standing Ovations.

Seit Jahren hatten Frauenrechtlerinnen in Jordanien dieses Gesetz bekämpft. Bis zuletzt war unklar, ob sie den Kampf gewinnen würden. Denn im Parlament war auch eine Vorlage eingebracht worden, die das alte Gesetz nicht ersatzlos streichen, sondern nur modifizieren wollte: Laut dem Entwurf sollte das Gesetz weiter für jene Fällen gelten, in denen es sich bei dem Opfer um eine Minderjährige handelt. Gerade konservative Abgeordnete folgen der in Jordanien weit verbreiteten Auffassung, dass ein Vergewaltigungsopfer über die Familie Schande bringe, die nur durch die Hochzeit von Opfer und Täter ausgelöscht werden könne.

Für die Frauenaktivistinnen des Landes ist die Entscheidung des Parlaments ein riesiger Erfolg. Ein Mädchen zu zwingen, ihren Vergewaltiger zu heiraten, komme einer Tötung der Frau 1000 Mal am Tag gleich, argumentierte etwa Dima Barakat, eine der führenden Aktivistinnen gegen das Gesetz. Die Anwältin und Abgeordnete Wafa Beni Mustafa sagte der „Presse“: „Das ist ein sehr wichtiger Schritt, um nicht nur in der Gesellschaft, sondern vor allem für die Opfer Gerechtigkeit zu erreichen. Die Zeit der Straffreiheit für die Täter ist vorbei.“ Sie betonte, dass Jordanien das Gesetz historisch betrachtet aus europäischen Gesetzbüchern übernommen habe. In Italien sei ein ähnlicher Paragraf erst Anfang 1990er Jahre gekippt worden.

Muslimbrüder stimmen zu

Am Ende stimmten in Jordanien selbst die konservativen Muslimbrüder der islamischen Aktionsfront gegen das alte Gesetz. Auch in der Scharia gebe es keinen Schutz für Vergewaltiger, erklärte deren Sprecherin Dina Tahboub.

Mit dem Widerruf des Gesetzes stellt sich Jordanien in eine Reihe mit Tunesien, Marokko und Ägypten, allesamt Länder, die in den vergangenen Jahren ähnliche Gesetze außer Kraft gesetzt haben. Tunesien hat ein solches Gesetz erst vergangene Woche widerrufen.
Doch Gesetze, die Vergewaltiger schützen, sind weiterhin in Algerien, im Irak, in Kuwait, in Libyen, Syrien und den palästinensischen Autonomiegebieten in Kraft. Auch einige Länder in Lateinamerika sowie die Philippinen und Tadschikistan haben noch ähnliche Paragrafen in ihren Rechtstexten.

In Jordanien konnten Frauenrechtlerinnen jüngst auch andere Erfolge feiern. Vor wenigen Tagen schlossen die Abgeordneten eine Gesetzeslücke, die es der Gerichten erlaubte, im Falle von Ehrenmorden an Frauen innerhalb der Familie verminderte Strafen von bis zu sechs Monaten Gefängnis auszusprechen. Solche Ehrenmorde bleiben ein Problem in der jordanischen Gesellschaft. Vergangenes Jahr mussten sich jordanische Gerichte mit mehreren Dutzend solcher Fälle auseinandersetzen.

Für die Abgeordnete Wafa Beni Mustafa geht der Kampf um Frauenrechte weiter. Ihr nächste Ziel ist die Abschaffung eines Paragrafen des Familiengesetzes, wonach nur die Vaterschaft von ehelichen Kindern anerkannt werden muss. „In heutigen Zeiten“, sagt sie, „soll nicht eine Heiratsurkunde, sondern einzig und allein die DNA bestimmen, wer der Vater des Kindes ist.“

Auf einen Blick

Das jordanische Unterhaus hat ein Gesetz aufgehoben, das Vergewaltigern eine Strafe ersparte, wenn sie ihr Opfer heiraten. Frauenrechterlinnen feierten den Schritt als großen Erfolg. Nun muss das Oberhaus die Entscheidung noch bestätigen. Tunesien hatte erst im Juli ein entsprechendes Gesetz gestrichen. Ähnliche Regelungen existieren aber noch in anderen Ländern, u.a. im Irak, in Algerien, Kuwait, Libyen und Syrien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2017)

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