Die Verhandlungen über den britischen EU-Austritt kommen nicht vom Fleck. Premierministerin Theresa May will von einer 40 Mrd. Euro schweren Austrittsrechnung nichts wissen.
London/Wien. Die Freude über einen Fortschritt bei den Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanniens währte gerade einmal 24 Stunden. Am Sonntag hatte der „Sunday Telegraph“ von einem angeblichen britischen Angebot an die EU berichtet: London sei bereit, seinen finanziellen Verbindlichkeiten gegenüber der Union nachzukommen, sofern die EU ihrerseits den Briten entgegenkommt und umgehend mit den Verhandlungen über ein künftiges Handelsabkommen beginnt. In dem Artikel war von einer Austrittsrechnung in der Größenordnung von rund 40 Mrd. Euro die Rede – weniger als die von Brüssel kalkulierten 60 bis 100 Mrd. Euro, doch immerhin ein erster Schritt in die richtige Richtung.
„Inakkurate Spekulationen“
Doch bereits am gestrigen Montag wurde dieser Schritt rückgängig gemacht: Premierministerin Theresa May ließ die „Times“ wissen, dass jegliche Spekulationen über eine britische Zahlungsbereitschaft „inakkurat“ seien, wie ein hochrangiger, nicht namentlich genannter Regierungsbeamter der Londoner Tageszeitung mitteilte. Demnach liege selbst der vergleichsweise niedrige Kompromissbetrag deutlich über dem, was May in Betracht ziehen würde.
Für Michel Barnier, den Chefverhandler der EU-Kommission, und sein britisches Gegenüber, David Davis, heißt es somit: Zurück an den Start. Die EU will über das künftige Verhältnis zu Großbritannien erst dann verhandeln, wenn es substanzielle Fortschritte bei den finanziellen Verbindlichkeiten, dem rechtlichen Status der in Großbritannien lebenden EU-Bürger sowie dem künftigen Management der britisch-irischen Landgrenze gibt. Bei der Brexit-Rechnung handelt es sich um künftige finanzielle Zusagen und bereits budgetierte Ausgaben aus dem EU-Budget, die von Großbritannien mitbeschlossen wurden. Die Höhe schwankt, je nachdem, welche Budgetposten inkludiert bzw. ausgeklammert werden.
Apropos Budget: Nach dem EU-Austritt Großbritanniens am 29. März 2019 fällt die Union um den drittgrößten Nettozahler hinter Deutschland und Frankreich um. Zum EU-Budget 2018 steuern die Briten netto 14,7 Mrd. Euro bei – das sind gut zwölf Prozent des Unionshaushalts. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass man sich in Brüssel den Kopf darüber zerbricht, wie sich das durch Großbritannien hinterlassene Loch stopfen ließe. Die jüngste Idee stammt von dem für das Budget zuständigen EU-Kommissar, Günther Oettinger: In einem Interview mit der „Bild“-Zeitung sprach er sich für die Streichung aller nationalen Vergünstigungen im EU-Haushalt aus. Diese wurden im Zuge des sogenannten Britenrabatts eingeführt, den Premierministerin Margaret Thatcher in den 1980er-Jahren für ihr Land herausgeschlagen hatte – im kommenden Jahr beläuft sich dieser Rabatt auf 4,9 Mrd. Euro.
Ende der Rabatte
Bei den von Oettinger angesprochenen Vergünstigungen handelt es sich einerseits um Nachlässe bei den sogenannten BNE-Beiträgen (sie werden anhand der Wirtschaftsleistung der EU-Mitglieder ermittelt), die Dänemark, Schweden und den Niederlanden zugutekommen, und andererseits um begünstigte Bemessungsgrundlagen für die Mehrwertsteuereigenmittel (ein kleiner MwSt.-Anteil fließt ins EU-Budget), von denen die Niederlande, Schweden und Deutschland profitieren. Allerdings machen diese Begünstigungen im Budget 2018 insgesamt nicht mehr als vier Mrd. Euro aus – und können den Wegfall der britischen EU-Mitgliedschaft nur in einem eingeschränkten Ausmaß kompensieren.
Die Verhandlungen für den neuen EU-Finanzrahmen ab 2021 sollen im kommenden Jahr beginnen. Oettinger will die britische Lücke durch einen Mix aus Einsparungen und höheren Beiträgen der Mitgliedstaaten füllen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2017)