Flüchtlingspolitik: Polens Regierung sieht „Erpressung“

Polens Regierungschefin, Beata Szydło.
Polens Regierungschefin, Beata Szydło.(c) APA/AFP/POOL/JULIEN WARNAND
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Die polnische und ungarische Regierung sehen sich als Opfer großer EU-Staaten. Am Mittwoch entscheidet der EuGH über die Flüchtlingsquote.

Warschau/Brüssel. Nicht nur vor Gericht, sondern auch in den Medien kämpfen die polnische und ungarische Regierung gegen den 2015 getroffenen Mehrheitsbeschluss zur Aufteilung von Flüchtlingen in der EU. Zwei Tage vor der erwarteten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Rechtmäßigkeit des Verteilungsschlüssels griff Polens Regierungschefin, Beata Szydło, die EU-Partner an: Polen lasse sich nicht mit der Drohung erpressen, dass EU-Gelder gekürzt werden, falls es keine „Einwanderer aus Nordafrika und dem Nahen Osten aufnimmt“.

EU-Fonds gehörten wie der freie Verkehr von Gütern und Dienstleistungen zu den Grundpfeilern der EU, betonte Szydło. „Wir haben ein Recht auf sie.“ Polen weise das „Diktat der größten Staaten“ in der Flüchtlingspolitik zurück. Ähnlich hatte sich vor Wochen bereits Ungarns Ministerpräsident, Viktor Orbán, geäußert. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir Ungarn den Deutschen zu irgendeinem Zeitpunkt hätten sagen wollen, was sie tun sollen.“

Sowohl Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, als auch die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, haben Polen, Ungarn und die anderen Visegrád-Staaten aufgefordert, ihre Verpflichtung zur Aufnahme von Flüchtlingen zu erfüllen. Androhungen von Förderkürzungen gab es bisher von Merkel nicht. Die deutsche Kanzlerin und Macron hatten allerdings zuletzt auch wegen der umstrittenen Justizreform in Polen den Druck auf die Regierung in Warschau erhöht.

Es geht um keine große Zahl

Am Mittwoch wird der EuGH über die Rechtmäßigkeit der Umverteilung von insgesamt 160.000 Flüchtlingen aus Italien und Griechenland entscheiden. Mit ihren Klagen wollten Ungarn und die Slowakei erreichen, dass die Mehrheitsentscheidung im Rat der EU für nichtig erklären würde.

Polen ist später der Klage beigetreten. Ungarn hätte von der Gesamtzahl 306, die Slowakei 290 und Polen insgesamt 2301 Flüchtlinge aufnehmen müssen. Am 26. September läuft die Frist dafür ab. Die EU-Kommission hat mit Strafen gedroht, sollte der Beschluss nicht umgesetzt werden.

Der mit der Klage befasste EuGH-Generalanwalt Yves Bot hat den Richtern vorgeschlagen, den Einspruch der osteuropäischen Regierungen abzuweisen. Er wies darauf hin, dass hier ein Beschluss des Rats der EU ausreiche. Eine parlamentarische Abstimmung in den beteiligten Ländern sei nicht notwendig. In den meisten Fällen folgen die Richter dem Vorschlag der Generalanwälte. (ag./wb)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2017)

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