Rechtspopulisten stehen vor Triumph in Deutschland

Auf den Marktplätzen der Republik machten die AfD-Anhänger lautstark Stimmung gegen die Kanzlerin. „Hau ab“, „Merkel muss weg“, so lauteten die Parolen. Die Rechtspopulisten könnten sich als drittstärkste Kraft im Bundestag etablieren.
Auf den Marktplätzen der Republik machten die AfD-Anhänger lautstark Stimmung gegen die Kanzlerin. „Hau ab“, „Merkel muss weg“, so lauteten die Parolen. Die Rechtspopulisten könnten sich als drittstärkste Kraft im Bundestag etablieren. (c) imago/Christian Ditsch
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Lang schien es im Wahlkampf so, als sei der Unmut über die Flüchtlingspolitik verpufft. Doch im Finish beflügelt der Volkszorn die Ultrarechte. Das Establishment schlägt Alarm.

Berlin. Vor vier Jahren bangten Bernd Lucke und seine Freunde von der Alternative für Deutschland (AfD) im Berliner Hotel Maritim vis-à-vis vom Friedrichstadtpalast um den Einzug in den Bundestag. Es war eine Zitterpartie für die ein halbes Jahr zuvor aus der Taufe gehobene Protestpartei, und am Ende scheiterten Lucke und Konsorten nur hauchdünn an der Fünf-Prozent-Hürde. Beinahe hätten sie eine Sensation vollbracht.

Diesmal steht der Sprung ins Parlament außer Frage. Der AfD könnte gar eine faustdicke Überraschung gelingen: Die Rechtspopulisten sind drauf und dran, als Dritter mit einem zweistelligen Ergebnis ins Ziel zu gehen und mit einer Fraktion von bis zu 80 Abgeordneten in den Bundestag zu kommen – trotz Turbulenzen, internen Zwists und Intrigen. Dabei schien der weitverbreitete Unmut über die Flüchtlingspolitik der Koalition – die treibende Kraft der AfD – zu Beginn des Wahlkampfs fast verpufft.
Parteigründer Bernd Lucke ist mittlerweile nicht mehr mit von der Partie. Nachdem er vor zwei Jahren der Ko-Vorsitzenden Frauke Petry in einem Machtkampf unterlegen war, splitterte er sich mit einer Gruppe Getreuer ab – und spielt seither keine Rolle mehr.

Auch Petry, die eloquente, 42-jährige Ko-Parteichefin aus Sachsen, steht inzwischen abseits. Beim Parteitag in Köln im April hat ihr Intimfeind Alexander Gauland (76) sie mit taktischem Geschick ausmanövriert. Auf einem Wahlplakat posierte sie jetzt mit Ferdinand, dem Baby aus ihrer zweiten Ehe mit Marcus Pretzell, dem AfD-Chef in Nordrhein-Westfalen. Gauland & Co. gefiel das gar nicht.

Im Look des Landedelmanns

Der Nationalkonservative im Look des englischen Landedelmanns – Ex-Staatssekretär in Hessen und Zeitungsherausgeber in Potsdam, der aus der CDU zur AfD gestoßen war – erkor Alice Weidel zur Frau an seiner Seite. Mit der 38-jährigen Wirtschaftsexpertin, als bekennende Lesbe eher ein Fremdkörper für die zum Teil ultrarechte Klientel, zog er als Spitzenduo in den Wahlkampf. Wie sich rasch herausstellte, harmonierten die beiden Pole recht gut. Mit gezielten Provokationen, derben Attacken gegen ihre Gegner und geschürten Ressentiments, wie es ein internes Strategiepapier skizziert hatte, sorgten die Spitzenkandidaten für Aufregung in einer eher lauen Wahlkampagne.

Der lautstarke Protest, die Buhrufe und Pfeifkonzerte organisierter AfD-Anhänger gegen die Flüchtlingspolitik Angela Merkels bei Kundgebungen der Kanzlerin insbesondere im Osten Deutschlands, hat zuletzt das von den Rechtspopulisten verhasste Establishment mobilisiert. Aufgeschreckt vom Anstieg der Umfragewerte richtete die Regierungschefin einen Appell an die Deutschen, eine Partei zu wählen, die auf dem Boden der Verfassung steht – ein Seitenhieb gegen die AfD und ihre Anti-EU-Politik.

Peter Altmaier, ihr Kanzleramtsminister, ließ sich sogar zu einer unverhüllten Wahlempfehlung hinreißen: Eine ungültige Stimme, so sein Credo, sei ihm lieber als eine für die AfD. Von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) abwärts warnten viele vor Demagogie und Rechtsradikalismus. In einem Leitartikel versuchte „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo die Nation wachzurütteln: „Pass auf, Deutschland!“

Das Land stehe an der Schwelle zu einer Zäsur. Der Einzug der Rechtspopulisten in den Bundestag, so meinen Kommentatoren und Politiker quer durchs politische Spektrum, sei gewissermaßen ein „Tabubruch“ für Nachkriegs-Deutschland. Erstmals könnte sich eine Partei rechts von CDU/CSU auf Dauer etablieren. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) und Cem Özdemir, der Ko-Parteichef der Grünen, unkten: Im Bundestag könnten sich im Herbst 2017 wieder Nazis tummeln. Im Bundestag tricksten die Parteien die AfD vorsorglich aus: Der Titel des Alterspräsidenten geht an Wolfgang Schäuble, den längstdienenden Parlamentarier, und nicht an einen AfD-Mann.

Höckes rechte Horden

Tatsächlich zählen Beobachter rund die Hälfte der potenziellen AfD-Abgeordneten zum äußerst rechten Rand, zur Horde Björn Höckes. Thüringens AfD-Chef machte mehr als einmal mit revisionistischen Sprüchen von sich reden. So wetterte er gegen die „Holocaust-Gedenkkultur“. Petry scheiterte mit einem Parteiausschluss Höckes. Nun zeigt sie sich entgeistert von den Parolen Gaulands und Weidels. Ein neuer Machtkampf, womöglich eine Parteispaltung, scheint somit also programmiert.

AUF EINEN BLICK

AfD. Gegründet 2013 unter anderem von Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke als europakritische Protestpartei, verfehlte die Alternative für Deutschland mit 4,7 Prozent vor vier Jahren nur knapp den Einzug in den Bundestag. Nach Machtkämpfen und dem Austritt Luckes profilierten sich die Rechtspopulisten als Hardliner in der Flüchtlingskrise. Inzwischen zählt die AfD 25.000 Mitglieder, sie sitzt im Europaparlament und in 13 Landtagen in Deutschland.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2017)

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