In einer Grundsatzrede in Florenz gab sich Premierministerin Theresa May zwar zu den Austrittsbedingungen kompromissbereit, mahnte aber selbiges von den EU-Partnern ein.
London. Ausgerechnet Florenz, die Stadt des politischen Denkers Niccolò Machiavelli, hatte sich die britische Premierministerin, Theresa May, als Schauplatz für eine neue Grundsatzrede zum Brexit ausgesucht. Einer der Leitsätze des großen Zynikers lautete: „Man soll den Menschen entweder schmeicheln, oder sie sich unterwerfen.“ May versuchte gestern, Freitag, beides.
Dafür hielt sie fest, dass der Brexit unverrückbar sei: „Großbritannien verlässt die EU. Wir wollen eine globale Nation des Freihandels sein. Viele Menschen blicken dieser Zeit mit Optimismus entgegen. Manche sind besorgt.“ Es gelte, so räumte sie ein, diese Sorgen ernst zu nehmen und den Brexit in einen Prozess zu verwandeln, „der beiden Seiten nützt“.
Dabei rückte May von der Position eines harten Brexit etwas ab. Nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU am 29. März 2019 wäre eine „Implementierungsphase in unserem gemeinsamen Interesse“, sagte May.
In dieser Periode will London unveränderten Zugang zum EU-Binnenmarkt. Im Gegenzug sollen die EU-Grundfreiheiten weiter gelten. Ausdrücklich betonte May, dass in dieser Phase der Zuzug von EU-Ausländern nicht eingeschränkt werden soll. London wolle lediglich eine Meldepflicht einführen. Obwohl sich die Premierministerin nicht auf eine Länge der Übergangsfrist festlegte, sagte sie: „Wir rechnen damit, dass diese Periode ungefähr zwei Jahre dauern wird.“
Dafür ist Großbritannien auch bereit, seine Zahlungen in das EU-Budget für die Dauer dieser Übergangsphase fortzusetzen. Während May keine Zahl nannte, war in ihrem Umfeld von einem „offenen und großzügigen Angebot“ von bis zu 20 Milliarden Euro die Rede gewesen. „Kein Staat soll wegen des Brexit Einbußen erleiden“, betonte May. „Wir werden unseren Verpflichtungen nachkommen.“ Die EU hingegen beziffert die gesamten Scheidungskosten mit bis zu 100 Milliarden Euro.
Mit ihrem Vorstoß wollte die britische Premierministerin den Stillstand in den Brexit-Verhandlungen überwinden. Sie appellierte an die EU-27: „Es ist in unser aller Interesse, dass wir erfolgreich sind.“ Knackpunkte dabei sind neben den britischen Zahlungen auch die Frage des Rechtsstatus von EU-Ausländern nach dem Brexit und die künftige Regelung der Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland. May versucht auch bei der Frage der EU-Staatsbürger Entgegenkommen zu signalisieren. Nicht nur soll ihr Status in dem Brexit-Vertrag abgesichert werden, die Rechtssicherheit soll durch ein neu zu schaffendes Gremium aus britischen und europäischen Richtern gewährleistet werden.
Barnier drängt zu Fortschritten
Nur wenn er „ausreichende Fortschritte“ sieht, will EU-Chefverhandler Michel Barnier dem nächsten EU-Gipfel vorschlagen, die Brexit-Verhandlungen auf die Frage der künftigen Beziehungen auszudehnen. Allein aus wirtschaftlichen Gründen drängt Großbritannien massiv auf diesen Schritt, denn die Unternehmen des Landes brauchen Planungssicherheit und wollen wissen, mit welchen Zöllen und Tarifen sie nach dem Brexit rechnen müssen.
Obwohl der Brexit noch nicht in Kraft getreten ist, leidet die britische Wirtschaft bereits daran. Nach Prognosen der OECD wird Großbritannien 2018 das schwächste Wachstum der G7 mit maximal einem Prozent haben. Dennoch erklärte May: „Großbritannien hat eine strahlende Zukunft.“
Nach den konzilianten Tönen wird sich die Premierministerin ab 1. Oktober dem Parteitag ihrer Konservativen stellen. Dabei wird sie die radikalen EU-Gegner bei der Stange halten müssen, denn May hat keine Mehrheit im Parlament. Einige politische Beobachter in Großbritannien sind sich nicht sicher, ob sie den Parteitag auch als Premierministerin verlassen wird.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2017)