Katz-und-Maus-Spiel um die katalanische Unabhängigkeit

In Barcelona demonstrierten erneut Tausende Menschen für die Unabhängigkeit von Katalonien.
In Barcelona demonstrierten erneut Tausende Menschen für die Unabhängigkeit von Katalonien.APA/AFP/PAU BARRENA
  • Drucken

Die katalanische Regionalregierung verspricht, dass am Sonntag abgestimmt werden kann. Die spanische Zentralregierung verstärkt ihre Polizeipräsenz.

In Katalonien liefern einander vor dem geplanten Unabhängigkeitsreferendum am Sonntag Separatisten und Madrider Zentralregierung ein Katz-und-Maus-Spiel. Seit Tagen versucht Madrid durch Festnahmen, Sperrungen von Web-Seiten oder die Beschlagnahmung von Wahlzetteln die Abstimmung zu verhindern. Kataloniens Regierung sucht dagegen immer neue Schlupflöcher im Netz der von Madrid verfügten Maßnahmen.

Zwei Tage vor der geplanten Volksabstimmung stehen einander die Zentralregierung und die separatistische Regionalregierung unversöhnlich gegenüber. In Barcelona pochte Regierungschef Carles Puigdemont darauf, dass die Katalanen das Recht zur Abstimmung hätten. In Madrid konterte ein Regierungssprecher: "Ich bekräftige: Es wird kein Referendum am 1. Oktober geben." Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy von der konservativen Volkspartei (PP) lehnt die Volksabstimmung als Gefahr für die Einheit des Landes entschieden ab und sieht sich durch das Verfassungsgericht bestätigt, demzufolge das Votum unzulässig ist.

Der katalanische Vize-Regierungschef Oriol Junqueras versprach am Freitag, die Bürger könnten auch dann abstimmen, wenn die Polizei die Öffnung der Wahllokale verhindern sollte. Auch ohne Wahlurnen gebe es viele Möglichkeiten abzustimmen, sagte er, wurde aber nicht konkret. Laut Medienberichten hat die Regionalregierung auch billige Plastik-Ersatzurnen aus China angeschafft, die notfalls aufgestellt werden könnten.

2315 Wahllokale - illegal, laut Madrid

Ungeachtet des Verbots des Verfassungsgerichts und des Widerstands aus Madrid will die Regionalregierung in Katalonien beim Unabhängigkeitsreferendum am Sonntag 2.315 Wahllokale öffnen lassen. Die Abstimmung finde zwischen 9 und 20 Uhr statt, sagte Regierungssprecher Jordi Turull am Freitag.

Nach Angaben der Regionalregierung sind 5,3 Millionen Katalanen zur Abstimmung berechtigt. Es ist der zweite Anlauf zur Loslösung von Spanien. Bereits 2014 setzte sich die Regionalregierung über Verbote hinweg und ließ über die Unabhängigkeit abstimmen. Damals gab es die überwältigende Zustimmung von 80 Prozent, allerdings hatte nur jeder dritte Katalane seine Stimme abgegeben.

Die Wurzeln der Unabhängigkeitsbestrebungen reichen bis ins Mittelalter zurück, als die damaligen regionalen Fürstentümer ausgeprägte Selbstbestimmungsrechte besaßen. In den 1930er-Jahren hatte Katalonien ein Autonomiestatut. Nach dem Sieg von Diktator Francisco Franco im spanischen Bürgerkrieg wurden diese Rechte einkassiert, Sprache und Traditionen unterdrückt. Die nach dem Ende der Diktatur erstarkten Unabhängigkeitsbestrebungen nährten die Aversion gegen die "kastilische" Zentralregierung. Nach dieser Lesart muss die eigentlich wirtschaftlich erfolgreiche Region im Nordosten zu viele Finanzhilfen an die Zentralregierung abführen und bekommt zu wenig zurück.

Autonomiepaket gekippt

Ein 2006 - damals war in Spanien noch der Sozialist Jose Luis Rodriguez Zapatero an der Macht - vom katalanischen Volk per Referendum und sowohl vom Regional- als auch gesamtspanischen Parlament bereits angenommenes reformiertes Autonomiestatut wurde nach einer Klage der konservativen Volkspartei (PP) 2010 von Spaniens Verfassungsgericht gekippt. Aus Ärger darüber bekam die Unabhängigkeitsbewegung gehörigen Zulauf.

Für den spanischen Regierungschef Rajoy geht es um mehr, als das reiche Katalonien zu halten. Sollten die Katalanen aus dem spanischem Gefüge ausbrechen, könnte der Funke auf das Baskenland überspringen. Die dortige Unabhängigkeitsbewegung ETA hat erst 2011 den bewaffneten Kampf eingestellt. Wackeln würde vermutlich auch die Loyalität der Kanarischen Inseln oder Galiciens zur Zentralregierung.

In keinem anderen europäischen Land gibt es mehr und entschlossenere separatistische Bewegungen in einzelnen Landesteilen. Die Furcht vor einer Spaltung ist so groß, dass Rajoy und der Chef der oppositionellen Sozialisten (PSOE), Pedro Sanchez, ihre gegenseitige Abneigung überwunden haben und zusammen für die Einheit des Landes eintreten.

In Barcelona haben in den vergangenen Tagen immer wieder Zehntausende für das Referendum demonstriert. Angesichts der aufgeladenen Atmosphäre warnte der katalanische Regierungschef am Freitag: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand Gewalt einsetzen oder Gewalt provozieren will." Die Regierung in Madrid hat bereits die ihr unterstehende Guardia Civil und die Policia Nacional in Katalonien verstärkt. Der katalanischen Regierung unterstehen die Mossos, sie stellen die Mehrheit der Polizeikräfte in der Region. Da auch die Mossos der spanischen Verfassung verpflichtet sind, sind Loyalitätskonflikte absehbar.

Startschuss für Verhandlungen?

Beobachter und Analysten gehen aber nicht davon aus, dass es am Sonntag zu massiven Zusammenstößen kommt. Vielmehr könnte die Machtdemonstration der Separatisten Startschuss für Verhandlungen zwischen Madrid und Barcelona sein. An deren Ende würden dann nach Ansicht von Analysten mehr Autonomie, eine Besserstellung in den innerspanischen Finanzflüssen und gesteigerte Investitionen in die Infrastruktur in der nordöstlichen Region Spaniens stehen.

Die Bischöfe Kataloniens sind indes uneins in diesem politischen Streit. Xavier Novell, Bischof von Solsona, sprach sich laut Kathpress im Gegensatz zu seinen Amtskollegen offen für eine Teilnahme an der umkämpften Abstimmung aus: "Wenn Urnen da sind, gehe ich wählen", schrieb der Geistliche in einer Erklärung, die spanische Zeitungen am Freitag veröffentlichten.

Der Bischof von Solsona in der katalanischen Provinz Lleida (Lerida) kritisierte das Vorgehen der spanischen Zentralregierung. Madrid, so Novell, verweigere dem katalanischen Volk das Recht auf Selbstbestimmung - ein Recht das allen Nationen zustehe. Die übrigen Bischöfe Kataloniens treten im Sezessionsstreit deutlich zurückhaltender auf. In einer gemeinsamen Stellungnahme riefen sie in der vergangenen Woche alle Beteiligten zur "Besonnenheit" auf.

Die EU-Kommission will zu dem geplanten Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien weiterhin nicht Stellung beziehen. "Ich glaube, wir können da nichts machen", sagte ein EU-Kommissionssprecher am Freitag in Brüssel. "Wir werden wie jeder andere auch verfolgen, wie sich die Ereignisse entwickeln."

(APA/Reuters/dpa/AFP)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.