Katalonien: Konfrontation statt Entspannung

Protest der Separatisten in Barcelona
Protest der Separatisten in BarcelonaAPA/AFP/LLUIS GENE
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Die katalanische Regionalregierung hat ein Ultimatum aus Madrid verstreichen lassen und sich nicht eindeutig zur Unabhängigkeit der Region geäußert. Madrid bleibt hart und will Katalonien am Samstag die Autonomierechte entziehen.

Im Streit um die Unabhängigkeit von Katalonien steuern beide Seiten auf eine direkte Konfrontation zu. Die politische Führung in Barcelona weigerte sich am Donnerstag, das Ultimatum der spanischen Zentralregierung zu erfüllen und ausdrücklich auf die Bildung eines eigenen Staates zu verzichten. Unmittelbar danach kündigte die Regierung in Madrid Zwangsmaßnahmen gegen die Region an.

Die Zentralregierung habe das Nein aus Barcelona zur Kenntnis genommen, hieß es in einer in Madrid veröffentlichten Mitteilung. Deshalb werde man die im Verfassungsartikel 155 vorgesehenen Schritte einleiten, um in Katalonien die Rechtmäßigkeit wiederherzustellen. Für Samstag wurde ein Treffen des Ministerrats einberaumt, hieß es aus dem Büro des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy. Dabei soll dann über konkrete Maßnahmen beraten werden. Artikel 155 sieht den Entzug von Autonomierechten und die Unterstellung der Regionalregierung unter die Zentralverwaltung vor - aktivieren, hieß es aus Regierungskreisen. Bis Freitagabend ist Premier Mariano Rajoy beim EU-Gipfel in Brüssel.

Brief an Rajoy

Kurz zuvor hatte Kataloniens Regionalpräsident Carles Puigdemont erneut mit der Ausrufung der katalanischen Unabhängigkeit gedroht, sollte Madrid seine "Repression" fortsetzen. Erst wenige Minuten vor dem Ende des Ultimatums um 10 Uhr veröffentlichte Puigdemont seinen Brief an Rajoy, in dem er sich weiterhin zum Dialog bereit erklärt. Sollte dieser jedoch nicht stattfinden und die "Repression fortgesetzt" werden, werde das katalanische Parlament "die formelle Unabhängigkeitserklärung beschließen, wenn es dies für angemessen hält", hieß es darin. Dabei bezog sich Puigdemont auf den 10. Oktober, als die Unabhängigkeit bereits erklärt, aber sofort wieder ausgesetzt worden war.

Die Verfassung erlaubt es der Zentralregierung, "die notwendigen Mittel zu ergreifen", um eine autonome Region zur Erfüllung ihrer rechtlichen Pflichten zu zwingen. Sie könnte Puigdemont absetzen, die katalanische Regierung auflösen oder eine Neuwahl des Regionalparlaments erzwingen. Es ist das erste Mal seit Inkrafttreten der Verfassung von 1978, dass diese Regelung verwendet wird.

Maßnahmen frühestens zu Wochenbeginn

Allerdings setzt Madrid auch wieder ein wenig auf Zeit: Sollte wie erwartet Rajoy am Samstag den Artikel 155 ausrufen, braucht er erst grünes Licht aus dem Parlament, bevor er die Maßnahmen aktiveren kann. Damit kann er aber frühestens Anfang nächster Woche rechnen. Dies öffnet noch ein weiteres, kleines Zeitfenster, um die bereits gespaltene Regionalregierung doch zum Einlenken zu bewegen.

Der Konflikt zwischen Madrid und Barcelona hat sich seit Wochen zugespitzt. Die katalanische Regierung setzte sich über ein Verbot des Verfassungsgerichts hinweg und organisierte am 1. Oktober ein Referendum über die Unabhängigkeit. Dabei kam es zu einem massiven Polizeieinsatz und Gewalt gegen Teilnehmer der Abstimmung. Bei einer Beteiligung von 42,3 Prozent stimmten 90,1 Prozent für eine Loslösung von Spanien.

Nach einem Unabhängigkeitsreferendum hatte Puigdemont zunächst die Unabhängigkeit erklärt, die Entscheidung aber unmittelbar danach auf Eis gelegt. Die spanische Regierung hat ihn deshalb zwei Mal zu einer klaren Aussage gedrängt und andernfalls mit dem Entzug der Autonomierechte gedroht.

"Niemand in Europa könnte Unabhängigkeit akzeptieren"

EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani hat  indes die Regionalregierung in Barcelona vor weiteren Bestrebungen zur Trennung von Spanien gewarnt. "Es wäre gut, wenn die katalanische Regierung die Unabhängigkeit nicht ausrufen würde, weil niemand dafür sein wird", sagte der Italiener am Donnerstag am Rande eines Besuchs im spanischen Oviedo.

Im Interview des spanischen Radiosenders Cope fügte er hinzu: "Niemand in Europa könnte die Unabhängigkeit akzeptieren. Niemand wird der Regierung von Katalonien in dieser Sache beistehen." Tajani sprach sich zwar für einen Dialog zur Lösung des Konflikts aus, betonte aber, dieser müsse aber im Rahmen des Gesetzes erfolgen. Der Konflikt sei "ein spanisches Problem", keines der EU.

Der Artikel 155

Am Samstag will der spanische Regierungschef Mariano Rajoy im Streit mit Katalonien die Entmachtung der Regionalregierung in Barcelona unter Carles Puigdemont einleiten. Rajoy werde den Artikel 155 der Verfassung aktivieren, kündigte sein Büro am Donnerstag an. Darin wird auf die Verpflichtung der Regionalregierungen hingewiesen, sich an die Verfassung und das allgemeine Interesse ganz Spaniens zu halten. Tut eine Regionalregierung das nicht, ist die Zentralregierung zu "erforderlichen Maßnahmen" berechtigt, um laut Verfassungstext "die autonome Gemeinschaft zur zwingenden Erfüllung dieser Verpflichtungen anzuhalten".

Rajoy wird demnach am Samstag den letzten Schritt zur Anwendung des Artikels einleiten, indem er den Senat bittet, Maßnahmen gegen Katalonien zur Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung zu billigen. In dieser Kammer sind ähnlich dem deutschen Bundesrat die 17 verschiedenen Regionen Spaniens vertreten, die ihrerseits aus einer oder mehreren Provinzen bestehen. Erst wenn der Senat mit absoluter Mehrheit Rajoys Antrag billigt, ist die "nukleare Option" scharf gestellt. Geht es nach Parteizugehörigkeit, dürfte das kein Problem sein, denn im Senat gehören 147 der 264 Senatoren Rajoys Konservativen an.

Mit der Aktivierung von Artikel 155, der dem deutschen Grundgesetzartikel 37 nachempfunden ist, betritt der spanische Staat Neuland. Im Absatz 2 des Artikels heißt es vage: "Zum Zwecke der Ausführung der (...) Maßnahmen kann die Regierung allen Behörden der autonomen Gemeinschaften Weisungen erteilen." Das heißt, die Regierung in Madrid wäre gegenüber allen Einrichtungen der katalanischen Verwaltung weisungsbefugt. Allerdings haben bislang die katalanische Regierung und die ihr untergeordneten Behörden vielfach Anweisungen aus Madrid ignoriert. Die Verfassung gibt auch keinen zeitlichen Rahmen vor, in dem der Artikel 155 umgesetzt werden muss.

In spanischen Medien wird seit Wochen spekuliert, was unter den notwendigen Maßnahmen zur Durchsetzung der Zwangsverwaltung Kataloniens zu verstehen ist. Unter Verfassungsexperten wird militärische Gewalt ausgeschlossen. Allerdings droht dem katalanischen Regierungschef Puigdemont eine Anklage wegen Rebellion.

Unzweifelhaft ist, dass eine Loslösung Kataloniens vom Rest Spaniens einen gravierenden Verstoß gegen die Verfassung darstellt. In Artikel 2 heißt es unmissverständlich: "Die Verfassung stützt sich auf die unauflösliche Einheit der spanischen Nation, gemeinsames und unteilbares Vaterland aller Spanier, und anerkennt und gewährleistet das Recht auf Autonomie der Nationalitäten und Regionen, die Bestandteil der Nation sind, und auf die Solidarität zwischen ihnen.

(APA/Reuters)

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