Tschechien: Wahlen im Land des neuen Wohlstands

Seagulls fly over the Vltava river in central Prague
Seagulls fly over the Vltava river in central PragueREUTERS
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Österreichs nördlicher Nachbar ist wirtschaftlich gut aufgestellt. Das Migrationsproblem war im Vorfeld der Parlamentswahl, die am Freitag begann und heute endet, nur Randthema. Als Favorit gilt der Milliardär Andrej Babiš.

Sie sind der erste Ausländer heute beim Tag der offenen Tür“ begrüßt Jaroslav Svoboda den deutschen Reporter aus Prag in seiner Glashütte in Karlov (Libinsdorf) fast feierlich. „Sie sind aber nicht zufällig ein Terrorist?“, fragt er grinsend. „Oder wenigstens ein strenggläubiger Muslim?“

Er fragt bewusst so laut, dass es die Umstehenden hören. Die kichern. In das Nest auf der böhmisch-mährischen Hochebene hat sich wohl noch kein „gefährlich aussehender Mensch“ verlaufen. Später, beim Aalessen, erklärt der 80-jährige Glasdesigner: „Ich bin ein weltoffener Mensch, meine Werke sind in New York und Hamburg, ich war zu Ausstellungen in Kairo, Tokio. Es bringt mich auf die Palme, dass hier in der schönen Gegend mit sauberer Luft und gesunden Wäldern, wo jeder jeden kennt, nur Wahlplakate des Ausländerfeindes Tomio Okamura gegen Islam, Terroristen und Roma hängen. Dass sich ein Halbjapaner über Ausländer erregt, ist ein Witz. Zudem hat er einst als Chef des tschechischen Touristenverbandes mit Ausländern viel Geld gemacht.“

(Anm.: Der 45-jährige Okamura ist Sohn einer Tschechin und eines Japaners und gründete 2015 die Rechtspopulistenpartei Freiheit und direkte Demokratie, SPD)

Ein Land in Blüte

In der Werkstatt sichtet Svoboda zufrieden die Einnahmen: „Den Leuten geht es immer besser, sie können sich's sogar leisten, nicht eben billiges Designerglas zu kaufen. Früher reichte es meist nur für tägliche Einkäufe und eine Woche Kroatien.“ Doch er glaubt, dass die Einkommensfrage die Parlamentswahl gestern, Freitag, und heute, Samstag, bestimmt. „Die Leute sehen, dass es dem Land insgesamt gut geht. Das wollen sie noch mehr auch selbst spüren.“

Man sieht nicht nur in Prag, einer reicheren Region als der EU-Schnitt, Zeichen des Aufschwungs. Der hat viel mit der guten Konjunktur in Deutschland zu tun. Teils wird Tschechien gar als „17. deutsches Bundesland“ bezeichnet.

„Wo es noch hapert, sind die Löhne“, räumt Arbeits- und Sozialministerin Michaela Marksová von der sozialdemokratischen ČSSD ein. Ein hoch qualifizierter Arbeiter in den Škoda-Autowerken etwa gehöre zwar zu den Spitzenverdienern, sein VW-Kollege in Wolfsburg verdiene aber das bis zu Vierfache. Löhne sind nur mittelbare Sache der Regierung: Die kann aber an Steuerschrauben drehen. Die Sozialdemokraten versprechen, für 98 Prozent der Beschäftigten die Steuern zu senken. Sie hätten dann im Schnitt bis zu 500 Euro mehr im Jahr. Die meisten Wähler vertrauen aber mehr dem Chef der liberalen Bewegung ANO, Andrej Babiš, der es mit Chemie- und Lebensmittelfirmen zum Dollarmilliardär brachte, aber auch enorm viel für die Mitarbeiter tut. Der sozial veranlagte Oligarch, mit ANO ein Juniorpartner in der Regierung, gilt als Favorit für die Wahl.

Der wirtschaftliche Musterschüler Tschechien offenbart sich zusehends, je weiter man in Richtung Mähren fährt. Im Umland der 30.000-Einwohner-Stadt Vsetín (Wsetin) findet man durchwegs gepflegte Anwesen, die auch in Bayern oder Oberösterreich stehen könnten. Überall neue kleine und mittlere Betriebe, darunter Zulieferer für Autokonzerne im In- und Ausland. Die Auftragsbücher sind auf Jahre voll. Baufirmen haben viel zu tun: Junge wollen eigene vier Wände haben. Kredite sind dank Mini-Zinsen billig, vor allem, wenn man 15 oder 20 Jahre abzahlt; Mieten hingegen sind teuer.

Jugend ohne Sorgen

Eva Polanská und ihr Freund Stanislav Mareček ließen durch eine lokale Baufirma, die ein 25-jähriger Schulfreund gründete, ein Stockwerk aufs Haus der Großeltern setzen. Es wurde pünktlich zur Hochzeit fertig, einer aufwendigen mährischen Hochzeit mit über 100 Gästen, die im Rathaus von Valašské Klobouky meist stehen, da es an Sesseln mangelt. Auf dem Riesenfest danach fließt bis tief in die Nacht Selbstgebrannter in Strömen. „Sorgen um die Zukunft müssen wir uns nicht machen“, lächelt Eva in ihrem mit Folklorestickereien geschmückten Brautkleid. „Meine Urur-Oma ist mit ihren Eltern in die USA ausgewandert, da es zum Leben hier nicht reichte. Das war normal. Heute gehen wir ins Ausland, um einige Zeit zu studieren.“

Eine spanische Studentin unter den Gästen kommt aus dem Staunen über die sichere Zukunft junger Tschechen nicht heraus: „Meine Aussichten in Spanien sind nicht annähernd so rosig.“

Das Land könnte noch weiter sein, hätte es das gleiche Problem wie Deutschland: Die Arbeitslosigkeit ist mit drei Prozent die niedrigste der EU, es mangelt an Fachkräften. Ukrainer helfen aus, müssen aber meist angelernt werden; Slowaken haben wenigstens kein Sprachproblem. Doch Zuwanderung soll keine Abhilfe sein – und sicher nicht aus dem islamischen Raum. 52 Prozent der Tschechen wollen keine Migranten, viele zeigen auf die deutsche Wahl: Tschechische Medien orten den Grund der Verluste etablierter Parteien an die AfD bei der Flüchtlingsfrage.

Sieht man von Okamuras Partei ab, tönte das Thema im Wahlkampf indes leise. Grund: Fast alle Parteien sind sich bei dem Thema einig. Willkommenskulturschaffende sind nur die EU-freundliche konservative „TOP 09“ mit Zugpferd Karel Schwarzenberg und die Grünen. Die anderen Parteien meiden sogar das Wort „Flüchtlinge“.

Wer will Willkommenskultur?

Die Sozialdemokraten sagen: „Wir sind und bleiben ein sicheres Land. Der Schutz der EU-Außengrenze hat für uns Priorität.“ Die Wähler verstehen die Botschaft: Keine Chance für muslimische Migranten. Heuer wurden nur etwa 100 Flüchtlinge anerkannt, keiner war Syrer, Iraker oder Afrikaner.

Auf einem Prager Markt am Kubanischen Platz sitzen viele, meist ältere Leute in der Sonne bei Musik, Kaffee und Kuchen. Eine Dame antwortet auf die Frage nach Flüchtlingen klar: „Oh, die können Sie gern bei sich im reichen Deutschland durchfüttern. Sie schaffen das. Wir hier wollen keine Terroristen. Es ist gut, dass hier fast alle Politiker dieser Meinung sind, bis auf ein paar völlig Naive.“

Gewinnen kann man in Tschechien mit „Willkommenskultur“ jedenfalls nicht.

HINTERGRUND

Vor der Parlamentswahl in Tschechien sagten Umfragen der rechten Partei des ANO (Ja) des sozial gesinnten Milliardärs Andrej Babiš (63) einen klaren Sieg voraus. Gegen den Unternehmer wird wegen mutmaßlichen EU-Subventionsbetrugs ermittelt, er schilt die Zuwanderungspolitik der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und will keine tiefere EU-Integration. Seit 2014 regiert eine Mitte-Links-Koalition aus Sozialdemokraten, Christdemokraten und ANO.

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