Jamaika-Koalition: Vier Parteien versuchen das Unmögliche

Keine neuen Hürden: Wolfgang Kubicki (FDP, li.), Cem Özdemir (Grüne, 2.v.l.), Katrin Göring-Eckardt (Grüne, 2.v.r.) und Angela Merkel (CDU) verhandeln über eine Jamaika-Koalition.
Keine neuen Hürden: Wolfgang Kubicki (FDP, li.), Cem Özdemir (Grüne, 2.v.l.), Katrin Göring-Eckardt (Grüne, 2.v.r.) und Angela Merkel (CDU) verhandeln über eine Jamaika-Koalition.APA/AFP/ODD ANDERSEN
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Zwölf Themen wurden in 48 Vorträgen in ersten Koalitionsgesprächen zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen durchbesprochen. Vertreter aller möglicher Regierungspartner zeigten sich zuversichtlich.

Die Sondierungen für eine erste Koalition aus CDU/CSU, FDP und Grünen auf Bundesebene in Deutschland nehmen an Fahrt auf: Nach der ersten rund fünfstündigen Gesprächsrunde aller vier potenzieller Partner äußerten sich die Vertreter aller Parteien am Freitag verhalten optimistisch.

Man sei mit viel guten Willen in das Treffen gegangen, sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber. "Nach der ersten Sondierungsrunde freuen wir uns auf die Termine in der kommenden Woche", erklärte er mit Blick auf die dann beginnenden Detailverhandlungen.

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer betonte, weiterhin bestünden in manchen Bereichen große Differenzen. Allerdings äußerte sich CSU-Chef Horst Seehofer in der Nacht vorsichtig positiv: "Die Zuversicht hat sich stabilisiert", sagte er. "Ich würde nicht sagen, dass wir jetzt näher gekommen sind. Aber es haben sich auch keine Hürden jetzt aufgebaut um weiterzugehen."

FDP-Chef Christian Lindner erklärte nach Ende der Gespräche: "Keine Lageänderung. Genau wie vorher." Wenige Stunden zuvor hatte er gesagt, er sehe bei den Inhalten "zu 85 Prozent noch Unterschiede".

48 Vorträge zu zwölf Themenkomplexen

Bundeskanzlerin, CDU-Chefin Angela Merkel äußerte sich zu Beginn der Sondierungen optimistisch: "Es wird sicher eine Vielzahl an Differenzen geben", räumte sie ein. Aber es werde auch den Willen geben, Gemeinsamkeiten zu finden. Die Sitzung begann mit einführenden Bemerkungen von Merkel, Seehofer, FDP-Chef Lindner, FDP-Vize Wolfgang Kubicki sowie den Grünen Spitzenkandidaten Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt. Daran schlossen sich Vorträge von jeder Partei zu den zwölf Themenkomplexen an, in die die Sondierungen thematisch gegliedert sind. Die insgesamt 48 Vorträge hätten die Komplexität des Plans gezeigt, eine gemeinsame Regierung zu bilden, sagte Scheuer. Er betonte unter anderem, für die CSU müsse eine Begrenzung der Einwanderung erreicht werden.

Für die Grünen hob deren Geschäftsführer Michael Kellner hervor, alle potenziellen Jamaika-Partner hätten sich zu den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens bekannt. Schon vor Beginn der Sondierungen hatte Göring-Eckardt vor zu großem Optimismus gewarnt: "Wir wissen nicht, ob das zu einem Ergebnis führt, wir wissen nicht, ob es klappt." FDP-Generalsekretärin Nicola Beer sagte, nach wie vor bestehe eine 50-zu-50-Chance, dass eine Jamaika-Koalition zustande komme. Die Stimmung unter den insgesamt 52 Unterhändlern im Haus der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft gegenüber vom Bundestagsgebäude wurde auch von Teilnehmern als gut beschrieben. Es habe eine konstruktive, konzentrierte Atmosphäre geherrscht. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), sagte: "Richtig gute Stimmung. Das wird was."

Meinungsverschiedenheiten beim Umweltschutz

Während aus Union und bei den Grünen meistens unterschiedliche Teilnehmer der Runde die eigenen Positionen zu den einzelnen Themen referierten, soll nach Teilnehmerangaben für die FDP ausschließlich Generalsekretärin Beer gesprochen haben. Differenzen gab es etwa beim Thema Umweltschutz. "Blaue Plakette heißt allgemeines Fahrverbot. Das habe ich nochmal klargestellt", sagte Seehofer zu der Grünen-Forderung, Diesel-Autos der modernen Abgasnorm Euro 6 mit einer blauen Plakette auszuzeichnen, um ihnen weiter die Zufahrt in Innenstädte zu erlauben.

Die eigentlichen Verhandlungen starten am kommenden Dienstag. Dann soll über die beiden Themen Finanzen/Steuern und Europa verhandelt werden. Weiter geht es dann am Donnerstag mit den Themenkomplexen Klima/Energie, Asyl/Migration/Integration und Bildung/Forschung/Digitales. Diese Themenblöcke gelten als die kontroversesten und sollen genau deshalb zuerst angesprochen werden, um Kompromisslinien auszuloten.

Özdemir bemühte nach Teilnehmer-Angaben einen Vergleich mit den neuesten Erkenntnissen der Astrophysik, um die Vorteile eines Jamaika-Bündnisses zu illustrieren. Er beschrieb, dass man Gravitationswellen aus dem Weltraum bisher nicht erkannt, sondern nur als Störsignal empfangen habe. Erst durch drei unterschiedliche Messstationen, was mit drei unterschiedlichen Blickwinkeln gleichzusetzen sei, habe man die Gravitationswellen nachweisen können. Die studierte Physikerin Merkel, so wurde berichtet, habe bei den Ausführungen wohlwollend gelächelt. Für Gelächter sorgte, als der Grünen-Politiker Robert Habeck Merkel in seinem Vortrag als "Chefin" bezeichnete.

Jamaika, ein "vierblättriges Kleeblatt"

Auch FDP-Chef Lindner stimmte die Runde mit Gleichnissen auf ein mögliches Jamaika-Bündnis ein: "Ein vierblättriges Kleeblatt könnte ein Glücksfall für Deutschland sein, ist aber sehr selten." Seehofer sagte in seinen einleitenden Worten nach Teilnehmerangaben, dass er als Kind fast jeden Tag ein vierblättriges Kleeblatt gefunden habe. In der Pause hätten sich nach Parteien gemischte Gruppen gebildet, berichtete Grünen-Geschäftsführer Kellner als Beleg dafür, dass allseits das Bemühen um atmosphärische Verbesserungen nach dem Wahlkampf spürbar gewesen seien.

Die Fraktionschefin der Linken, Sahra Wagenknecht, warnte Union, FDP und Grüne unterdessen, durch zähe Sondierungsgespräche und Missachtung sozialer Missstände die Demokratieverdrossenheit vieler Bürger zu schüren. Es zeichneten sich schon jetzt schleppende Verhandlungen ab, sagte sie der "Rheinischen Post" (Samstag). Das liege daran, dass Merkel und Seehofer, wegen des schlechten Unions-Wahlergebnisses geschwächt seien und nun auf nach außen demonstrativ stark auftretende Grünen- und FDP-Politiker träfen. Wagenknecht kritisierte, dass sich die "die Jamaika-Koalitionäre aber fatalerweise" einig darin seien, "die bisherige Politik der sozialen Spaltung der Gesellschaft fortzusetzen". Das sei politisch fahrlässig. Wer nichts gegen soziale Unsicherheit, Niedriglöhne und Armutsrenten tue, verstärke in der Bevölkerung das Gefühl, dass soziale Interessen unter die Räder kämen und nähre damit Frust und Demokratieverdrossenheit.

(APA/Reuters/dpa)

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