Rajoy kündigt Neuwahlen in Katalonien an

Mariano Rajoy leitete die Kabinettssitzung in Madrid.
Mariano Rajoy leitete die Kabinettssitzung in Madrid.APA/AFP/POOL/JUAN CARLOS HIDALGO
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Der spanische Ministerrat hat beschlossen, Artikel 155 der Verfassung zu aktivieren. Hunderttausende Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung sind in Barcelona auf die Straße gegangen.

Die spanische Regierung hat angesichts der Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens die Entmachtung der dortigen Regionalregierung eingeleitet und Neuwahlen binnen sechs Monaten angekündigt. Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy rief den Senat am Samstag in Madrid auf, die Befugnisse der katalanischen Regionalregierung von Carles Puigdemont auszusetzen.

Die Maßnahmen müssen vom Senat gebilligt werden, wo die konservative Volkspartei (PP) von Rajoy die Mehrheit hat. Die zweite Parlamentskammer wird voraussichtlich am Freitag nächster Woche zu einem Sondertreffen zusammenkommen, um über die Maßnahmen abzustimmen.

Für Samstagabend kündigten die Anhänger der katalanischen Autonomie-Bewegung eine Großkundgebung in Barcelona an. Puigdemont will sich um 21.00 Uhr zu den von Rajoy geplanten Maßnahmen öffentlich äußern.

Debüt einer Zwangsmaßnahme

Rajoy und seine Minister berieten am Samstag in einer Krisensitzung wegen des umstrittenen Unabhängigkeitsreferendums in Katalonien über Zwangsmaßnahmen gegen die Regionalregierung in Barcelona. Sie entschieden sich für die Anwendung von Artikel 155 der spanischen Verfassung. Die bisher noch nie angewandte Regelung ermächtigt Madrid, "die notwendigen Mittel zu ergreifen", um eine autonome Region zur Erfüllung ihrer rechtlichen Pflichten zu zwingen. Er sieht das Aussetzen der Autonomierechte einer Autonomen Gemeinschaft in Spanien wie etwa Katalonien vor, wenn diese ihre von der Verfassung oder anderen Gesetzen auferlegten Verpflichtungen nicht erfüllt "oder so handelt, dass ihr Verhalten einen schweren Verstoß gegen die allgemeinen Interessen Spaniens darstellt".

Rajoy sagte am Samstag, man habe den Artikel nicht aktivieren wollen, sei aber von Katalonien "dazu gezwungen" worden. Die jüngsten Daten zur katalanischen Wirtschaft seien besorgniserregend, so Rajoy. Immer mehr Unternehmen verlegten nach dem Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober ihren Sitz aus Katalonien in andere spanische Regionen. Die katalanische Wirtschaft könnte im Falle der Unabhängigkeit um 30 Prozent einknicken, warnte der spanische Regierungschef.

Die Ziele der Zwangsmaßnahmen seien demnach neben der Neuwahl die Aufrechterhaltung des Wirtschaftswachstums sowie die Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit und des friedlichen Zusammenlebens in Kataloniens. Keinesfalls sollten mit den jetzt vorgeschlagenen Maßnahmen die gesamte Autonomie und die Selbstverwaltung Kataloniens ausgesetzt werden, betonte der Ministerpräsident.

Entlassung der Verantwortlichen

Statt einer kompletten Entmachtung der Regionalregierung wäre auch nur eine Entlassung der Verantwortlichen mit bestimmten Aufgabenfeldern denkbar gewesen. Für das radikalere Vorgehen hatte sich Rajoy zuvor Rückendeckung anderer Staats- und Regierungschefs der EU geholt, darunter die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Vermitteln will die EU selbst in dem Konflikt nicht.

Rajoy warf dem katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont und der Unabhängigkeitsbewegung erneut mit scharfen Worten vor, die Bestimmungen der spanischen Verfassung gebrochen zu haben. Puigdemont werde bei den Neuwahlen zum Regionalparlament nicht antreten und auch keine Kandidaten vorschlagen können, betonte Spaniens Regierungschef. Die Nachrichten-Webseite eldiario.es hatte am Freitag berichtet, Rajoys rechtskonservative Volkspartei (PP) und die oppositionellen Sozialisten (PSOE) hätten sich bereits darauf verständigt, dass die vorgezogene Regionalwahl in Katalonien im Jänner stattfinden solle. In Madrid wird damit die Hoffnung verbunden, dass es danach eine neue Regionalregierung gibt, die nicht mehr die Unabhängigkeit anstrebt.

Die katalanischen Separatisten hatten am Donnerstag ein zweites Ultimatum der Zentralregierung verstreichen lassen, in dem eine klare Antwort verlangt worden war, ob sich die Region für unabhängig erklärt hat oder nicht. Am 1. Oktober wurde in der nordspanischen Region ein Unabhängigkeitsreferendum abgehalten. 90 Prozent stimmten für die Loslösung von Spanien, allerdings nahmen nur rund 43 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung teil. Das gewaltsame Vorgehen der spanischen Polizei gegen die Teilnehmer hatte die Gräben zwischen Katalonien und der Zentralregierung weiter vertieft.

Forcadell: "Das werden wir nicht zulassen"

Die Präsidentin des katalanischen Parlaments, Carme Forcadell, hat die von Spanien eingeleitete Entmachtung Kataloniens als Staatsstreich bezeichnet. Es handle sich dabei um einen Angriff auf die Demokratie.

Ministerpräsident Mariano Rajoy wolle, dass das Parlament Kataloniens nicht mehr demokratisch sei, sagte Forcadell in einer Fernsehansprache am Samstagabend. "Das werden wir nicht zulassen." Die Souveränität des katalanischen Parlaments müsse erhalten bleiben. Puigdemont wollte sich am Abend ebenfalls noch äußern.

Protest in Barcelona gegen Zentralregierung

Hunderttausende Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung der spanischen Region Katalonien sind in Barcelona auf die Straße gegangen, um gegen die Zentralregierung in Madrid zu protestieren. Die Demonstranten forderten am Samstag die Freilassung von zwei führenden Aktivisten der separatistischen Bewegung, Jordi Sanchez und Jordi Cuixart. Die Polizei schätzte die Zahl der Teilnehmer auf rund 450.000.

Zur Kundgebung hatte der separatistische Dachverband Taula per la Democracia aufgerufen, nachdem die Aktivisten am Montag in U-Haft genommen worden waren. Den Chefs der Organisationen Katalanische Nationalversammlung (ANC) und Omnium Cultural wird "aufrührerisches Verhalten" bei einer Kundgebung im September vorgeworfen.

(APA/Reuters/AFP/dpa)

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