Kein Zurück: Unabhängiges Katalonien - von Spanien zwangsverwaltet

Viele Menschen beobachten auf großen Bildschirmen die Abstimmung im katalanischen Regionalparlament in Barcelona und brachen schließlich in Jubel aus.
Viele Menschen beobachten auf großen Bildschirmen die Abstimmung im katalanischen Regionalparlament in Barcelona und brachen schließlich in Jubel aus.REUTERS
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Voller Konfrontationskurs: Das katalanische Parlament stimmt einer Resolution zur Unabhängigkeit der Region zu. Der spanische Senat antwortet mit der "Zwangsverwaltung Kataloniens" umd der Auslösung des Verfassungsartikels 155.

In Spanien eskaliert der Konflikt mit Katalonien, beide Seiten haben ihre Position mit Parlamentsbeschlüssen klar bezogen. Das katalanische Regionalparlament billigte Freitagnachmittag eine Unabhängigkeitsresolution, der Senat in Madrid stimmte wenig später für die Zwangsverwaltung der Region und für die Auslösung des Verfassungsartikels 155. Die spanische Regierung kommt um 18 Uhr zu einer Sondersitzung zusammen.

Barcelona war an diesem Freitagnachmittag etwas schneller: "Wir erklären Katalonien zum unabhängigen Staat in Form einer Republik", heißt es in dem Text, den die Abgeordneten in Barcelona in geheimer Abstimmung guthießen. Sie stimmten für die Loslösung der autonomen Region von der Zentralregierung in Madrid.

Abstimmung ohne Großteil der Opposition

Für die Annahme der Resolution stimmten am Freitag in Barcelona in einer geheimen Wahl vor allem die Abgeordneten des separatistischen Regierungsbündnisses JxSi von Regionalpräsident Carles Puigdemont sowie der linksradikalen Partei CUP. Das Ergebnis lautete 70:10 bei zwei Enthaltungen. Die meisten Abgeordneten der Opposition hatten nach heftiger Debatte noch vor der Abstimmung den Saal verlassen.

Die separatistischen Abgeordneten standen nach Bekanntgabe des Abstimmungssieges von ihren Sitzen auf und sangen die katalanische Nationalhymne. Vor dem Parlament versammelten sich nach Medienschätzung mehr als 15.000 Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung, die das Ergebnis der Abstimmung feierten.

Verfahren gegen Puigdemont wegen "Rebellion" angekündigt

Gegen den katalanischen Regionalpräsidenten will nun Spaniens Justiz vorgehen. Am Freitagabend kündigte die Generalstaatsanwaltschaft ein Verfahren wegen "Rebellion" gegen Puigdemont an.

Die Behörde werde in der kommenden Woche Anklage gegen Puigdemont erheben, sagte ein Sprecher am Freitag. Auf "Rebellion" steht im spanischen Recht eine Höchststrafe von 30 Jahren Haft.

Rajoy mahnt zur Ruhe

Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy hat die Spanier angesichts der Lage in Katalonien am Freitag zur Besonnenheit aufgerufen. "Ich bitte alle Spanier um Ruhe. Der Rechtsstaat wird die Legalität in Katalonien wieder herstellen", twitterte er nur wenige Minuten nach einer Abstimmung im katalanischen Parlament, das mehrheitlich für einen Prozess zur Loslösung von Spanien und zur Gründung eines unabhängigen Staates gestimmt hatte.

Der spanische Senat reagierte nur rund 45 Minuten später auf die katalanische Vorlage und gab grünes Licht für die Absetzung der katalanischen Regierung. Die Abgeordneten stimmten in Madrid einer Anwendung des Verfassungsartikels 155 zu, der Zwangsmaßnahmen gegen eine abtrünnige Region erlaubt. Die Maßnahmen Madrids, die mit 214 Stimmen bei 47 Gegenstimmen und einer Enthaltung gebilligt wurden, sehen neben der Absetzung der Regionalregierung die Abhaltung von Neuwahlen in der abtrünnigen Region vor. Die ersten Maßnahmen könnten bereits am Samstag in Kraft treten, wenn die Senatsentscheidung im Amtsblatt veröffentlicht worden ist - vermutlich die Entmachtung der Regierung von Puigdemont.

Rajoy: Unabhängigkeitswunsch "Bedrohung für ganz Spanien"

"Es geht nicht um Katalonien, es geht darum, ob das Gesetz über andere Wünsche gestellt werden darf", sagte Spaniens Rajoy in seiner hitzigen Rede im spanischen Senat. Dies sei kein spanischer Imperialismus, forderte Rajoy die Abgeordnetenkammer dazu auf, die katalanische Regionalregierung zu entmachten. Deren Unabhängigkeitsbestrebungen seien eine "Bedrohung für ganz Spanien".

Der katalanischen Regierung in Barcelona warf er die Missachtung der Gesetze und eine Verhöhnung der Demokratie vor. Die Unabhängigkeitsbestrebungen seien eine "Bedrohung für ganz Spanien". Die Regionalregierung habe am 1. Oktober eine illegale Volksabstimmung abgehalten ohne jede demokratischen Garantien, sagte Rajoy in der Sitzung des Senats. "Was würden wohl Frankreich oder Deutschland machen, wenn eine Region ein illegales Referendum über die Unabhängigkeit abhalten würde?", fragte der Ministerpräsident.

"Friedlicher Widerstand"

Die größte Separatisten-Gruppe in Katalonien (ANC) hat am Freitag die Mitarbeiter der Verwaltung in der Region dazu aufgerufen, Anordnungen aus Madrid nicht zu befolgen. Die Bediensteten sollten mit "friedlichem Widerstand" reagieren.

Regionalpräsident Puigdemont forderte die Katalanen auf, weiter friedlich für die Unabhängigkeit zu kämpfen. In einer Erklärung vor Abgeordneten und Bürgermeistern der Unabhängigkeitsbewegung sagte Puigdemont am Freitagnachmittag, es gehe in den nächsten Stunden darum, friedlich, verantwortungsvoll und "mit Würde" auf die Entwicklungen zu reagieren.

EU bleibt auf Seite Spaniens

Die Europäische Union erkennt die Unabhängigkeitserklärung Kataloniens nicht an. "Für die EU ändert sich nichts", schrieb EU-Ratspräsident Donald Tusk am Freitag im Kurzbotschaftendienst Twitter. "Spanien bleibt unser einziger Gesprächspartner."

Tusk rief die Regierung in Madrid gleichzeitig auf, vom Einsatz von Gewalt abzusehen. "Ich hoffe, die spanische Regierung bevorzugt die Stärke des Arguments, nicht das Argument der Stärke."

Auch die deutsche Bundesregierung stellte sich mit einer Stellungnahme hinter den spanischen Ministerpräsidenten Rajoy: Man sehe "die erneute Zuspitzung der Situation in Katalonien ausgelöst durch den erneuten Verfassungsbruch seitens des katalanischen Regionalparlaments mit Sorge", erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag. "Wir hoffen darauf, dass die Beteiligten alle bestehenden Möglichkeiten zum Dialog und zur Deeskalation nutzen werden."

Umstrittenes Referendum

Verfassungsartikel 155 ermöglicht die Absetzung der Regionalregierung und die Abhaltung von Neuwahlen in der abtrünnigen Region. Die katalanische Regierung hatte am 1. Oktober ungeachtet eines Verbots durch das Verfassungsgericht und gegen den Willen Madrids ein Referendum über die Unabhängigkeit abhalten lassen. 90 Prozent der Teilnehmer stimmten für eine Unabhängigkeit von Spanien. Allerdings nahmen nur 43 Prozent der Wahlberechtigten teil - und das unter kaum kontrollierbaren Bedingungen.

Madrid warnte katalanische Beamte bereits davor, im Fall der Entmachtung der Regionalregierung zivilen "Widerstand" zu leisten. Schon im Vorfeld schickte die Zentralregierung Tausende zusätzliche Polizisten nach Barcelona, um die Entmachtung notfalls durchsetzen zu können. Am Freitag versammelten sich wiederum erneut Hunderte Unabhängigkeitsbefürworter mit der Flagge Kataloniens vor dem Parlamentsgebäude.

Minister kündigt Puigdemont Unterstützung auf

Puigdemonts Kurs ist aber selbst in den eigenen Reihen nicht umstritten. Der für Unternehmen zuständige Minister Kataloniens hatte sich am Donnerstag offen gegen den Regionalchef gestellt. Er erklärte seinen Rücktritt. "Meine Versuche eines Dialogs sind erneut gescheitert", erklärte Santi Vila am Donnerstag auf Twitter zur Begründung. Der als moderat geltende Vila hatte sich katalanischen Medienberichten zufolge für die Wahl eines neuen Regionalparlaments ausgesprochen.

Es ist das erste Mal seit dem Ende der Franco-Diktatur und seit Inkrafttreten der Verfassung von 1978, dass deren Artikel 155 Anwendung finden könnte. Mit ihm kann "aufrührerischen" Regionen die Autonomie entzogen werden. Gemäß dem Verfassungsartikel will Madrid außerdem die Kontrolle über die Mossos d'Esquadra - die katalanische Polizei - sowie über die Verwaltung und die öffentlichen Medien der halbautonomen Region übernehmen.

Unter der Diktatur von General Francisco Franco (1939-1975) war neben anderen repressiven Maßnahmen die katalanische Regierung abgeschafft und der Gebrauch der katalanischen Sprache in der Öffentlichkeit verboten worden.

(APA/AFP/Reuters)

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