Der Ankara-Coup des Ex-Kanzlers

Ein Archivbild aus dem Jahr 2003: Der damalige türkische Premier Recep Tayyip Erdo˘gan und sein deutscher Amtskollege, Gerhard Schröder (r.), im Gleichschritt in Berlin.
Ein Archivbild aus dem Jahr 2003: Der damalige türkische Premier Recep Tayyip Erdo˘gan und sein deutscher Amtskollege, Gerhard Schröder (r.), im Gleichschritt in Berlin.imago/Christian Thiel
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Gerhard Schröder hat die Freilassung des Menschenrechtlers Peter Steudtner ausgehandelt. Für die Normalisierung der bilateralen Beziehungen wird sein Einfluss wohl nicht reichen.

Ankara/Berlin. Mit seiner protürkischen Haltung hat Gerhard Schröder nie hinter dem Berg gehalten. Als er als deutscher Kanzler im Herbst 2004 über die Zukunft der Europäischen Union sinnierte, sah er keine Alternative zu einer Vollmitgliedschaft Ankaras. Seit 40 Jahren schon mache die EU der Türkei Versprechen, die sie letztlich dann doch nicht halte – das müsse sich ändern, allein um der Stabilität in der Region willen, sagte Schröder damals in Budapest.

Seither ist viel Wasser die Donau hinuntergeflossen. Heute stehen sich Ankara und Brüssel so fern wie schon lang nicht mehr, aber Schröder hält an seiner Ansicht eisern fest. Mitte Oktober sagte der Ex-Kanzler, mittlerweile als Wirtschaftslobbyist für vornehmlich russische Firmen tätig, in Mönchengladbach: Die EU müsse ihre Beziehungen zu Russland und der Türkei verbessern, andernfalls drohe Osteuropa die Instabilität. Die guten Beziehungen zur Türkei und bekannterweise zu Russland hat sich Schröder seit dem Ausscheiden als Kanzler beibehalten.

Der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, lud ihn zu jenem Parteitag 2012 ein, als er sich erneut zum Vorsitzenden wählen ließ und gleichzeitig die Weichen für das mittlerweile beschlossene Präsidialsystem legte. Die beiden Staatsmänner laufen sich auch bei privaten Veranstaltungen über den Weg, zudem besitzt der Altkanzler seit vier Jahren eine Residenz in Bodrum. An der Ägäisküste trifft der Sozialdemokrat denn auch andere AKP-Vertreter wie Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu, man geht essen.

Gab es Zugeständnisse?

Für die Bundesregierung schien Schröder der geeignete Kandidat zu sein, um die Freilassung Peter Steudtners auszuhandeln. Nach drei Monaten türkischer Haft kam der Menschenrechtler mit sieben weiteren Inhaftierten am Mittwochabend frei. Ankara weist zurück, dass der Fall Steudtner mit Schröders Besuch in Verbindung steht. Von den Gesprächen sind keine Details bekannt, daher fragt man sich in Berlin, ob es Zugeständnisse in Richtung Ankara gab.

Jedenfalls wirft die türkische Regierung den Aktivisten, darunter der Türkei-Chefin von Amnesty International, İdil Eser, unter anderem Verschwörung vor. Trotz der überraschenden Wende im Fall Steudtner reagierten deutsche Medien und Politiker jeglicher Couleur verhalten. Für den Außenminister Sigmar Gabriel ist es allenfalls „ein erstes Zeichen der Entspannung“. Nun müssten andere deutsche Inhaftierte wie die Journalisten Deniz Yücel und Meşale Tolu freigelassen werden. Tolus Anwalt zeigte sich indessen wenig optimistisch, dass seine Mandantin bald in Freiheit sein könnte.

Die Freilassung weiterer Gefangener forderte auch der Grünen-Chef Cem Özdemir, der als möglicher nächster Außenminister Deutschlands die Türkei-Politik vorgeben könnte. Özdemir ist ein scharfer Kritiker Erdoğans und ein Hinweis darauf, dass sich die schwer angeschlagenen bilateralen Beziehungen so schnell nicht verbessern könnten. Dafür müsste Ankara mehr Gefangene freilassen, die scharfe Rhetorik herunterfahren und den Rechtsstaat ernst nehmen, wie es aus Berlin heißt. Und weiter: Schröder allein kann das auch nicht mehr geradebiegen.

Der Altkanzler ist in der Türkei stets willkommen. Er bleibt als jener europäischer Politiker in Erinnerung, der den Weg in die EU ebnen wollte – zumal jetzt, da die Verhandlungen zum Stillstand gekommen sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2017)

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