Libanon: Ein Rücktritt mit schweren Folgen für den Nahen Osten

REUTERS/Mohamed Azakir
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Libanons Saudi-naher Regierungschef Saad al-Hariri tritt aus Angst um sein Leben zurück. Experten warnen nun vor einem Zusammenstoß zwischen Iran und Saudi-Arabien.

Der libanesische Ministerpräsident Saad al-Hariri stürzt mit seinem Rücktritt das Land erneut in eine Regierungskrise. Er habe Angst um sein Leben, begründete Hariri am Samstag in einer Fernsehansprache seinen Schritt. Unklar ist, wer ihm an der Staatsspitze nachfolgt. Dem Libanon drohen nun wieder Spannungen zwischen den verschiedenen Religionsgruppen und eine politische Lähmung. Hariris Regierung war erst Ende vergangenen Jahres ins Amt gekommen und hatte damit ein 29 Monate währendes Machtvakuum beendet.

Hariri warf dem Iran und der mit ihm verbündeten libanesischen Hisbollah vor, Zwietracht in der Region zu schüren. Beide hätten den Libanon in das Zentrum eines Sturms von internationalen Sanktionen gerückt. Die Warnungen vor einem Mordkomplott kamen von westlichen Geheimdiensten, wie die Zeitung "Aschark al-Aussat" unter Berufung auf Hariri nahestehende Kreise berichtete. Die libanesische Armee erklärte, ihr lägen keine Erkenntnisse über einen Anschlagsplan vor.

Der libanesische Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hat am Sonntagabend die Vorwürfe zurückgewiesen. Der Rücktritt sei eine "saudische Entscheidung" gewesen. Riad habe Hariri dazu gedrängt, behauptete Nasrallah. Es sei weder Hariris Absicht, noch sein Wille, noch seine Entscheidung gewesen, erklärte der Hisbollah-Chef in einer Fernsehansprache. Es sei eine legitime Frage, ob Hariri in Saudi-Arabien unter Hausarrest stehe.

"Ich spüre, dass eine Verschwörung läuft, die auf mein Leben abzielt", sagte Hariri. Das politische Klima im Land sei ähnlich wie vor der Ermordung seines Vaters und Ex-Ministerpräsidenten Rafik al-Hariri Anfang 2005. Hariri hält sich nach saudischen Angaben in der saudischen Hauptstadt Riad auf.

Fragile Machtbalance

Das politische System Libanons ist eine fragile Balance zwischen den Religionsgruppen der Christen, Muslime und Drusen. So ist der Parlamentspräsident stets ein Schiit und der Oberbefehlshaber der Armee ein Christ. Der Posten des Ministerpräsidenten ist traditionell einem Sunniten vorbehalten und der des Präsidenten einem maronitischen Christen. Staatschef ist derzeit Michel Aoun. Hariris Regierungskoalition umfasste fast alle wichtigen Parteien des Landes, auch die schiitische Hisbollah - neben den Sunniten und den Christen der dritte starke Machtfaktor im Land. Drusenführer Walid Dschumblatt sprach sich für Kompromisse mit der Hisbollah aus. Der Libanon sei zu schwach, um die Konsequenzen eines Rücktritts Hariris zu verkraften.

Dass die Hisbollah mit dem Iran verbündet ist und im syrischen Bürgerkrieg Präsident Baschar al-Assad unterstützt, hat im Libanon immer wieder für Unruhe gesorgt. Hariri selbst steht Saudi-Arabien nahe. Das sunnitische Land ringt mit dem schiitischen Iran um die politische Vorherrschaft im Nahen Osten.

Hariri habe seine Entscheidung mit Hilfe von US-Präsident Donald Trump und dem Kronprinzen von Saudi-Arabien getroffen, um den Libanon und die Region zu destabilisieren, sagte ein Berater des geistlichen und politischen Oberhaupts des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, im staatlichen Fernsehen. Der für die Region zuständige Minister Saudi-Arabiens, Thamer al-Sabhan, äußerte sich dagegen ähnlich wie Hariri. Verrat und Aggression müssten beendet werden.

Der Politikwissenschaftler Hilal Khashan von der Amerikanischen Universität in Beirut nannte Hariris Rücktritt eine "gefährliche Entscheidung, deren Folgen schwerer sein werden, als es der Libanon verkraften kann". "Hariri hat einen kalten Krieg gestartet, der zum Bürgerkrieg eskalieren könnte", warnte der Wissenschafter unter Verweis auf die militärische Vorrangstellung der Hisbollah im Libanon.

Die Politologin Fadia Kiwane von der Beiruter St. Josephs-Universität warnte, die Lage in der Region sei an einem "Wendepunkt - es könnte einen tödlichen Zusammenstoß zwischen Saudi-Arabien und dem Iran geben." Auch im Kurzbotschaftendienst Twitter äußerten Nutzer Angst vor einem Krieg.

Der Hisbollah wird vorgeworfen, an der Ermordung von Rafik al-Hariri beteiligt gewesen zu sein. Fünf Mitglieder sind vor einem Sondertribunal in Den Haag deshalb angeklagt. Der seit 2014 laufende Prozess findet in Abwesenheit statt. Rafik al-Hariri war 2005 bei einem Bombenanschlag ums Leben gekommen. Das Attentat hatte das Land an den Rand eines Bürgerkrieges gebracht. Es löste Massenproteste gegen Syrien aus, die dazu führten, dass der Nachbarstaat wenige Monate später sein Militär nach 29 Jahren aus Libanon abzog.

(APA/AFP/Reuters)

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