Besuch in Hamburg: Wo der linksextreme Mob wütete

Wegen der G20-Ausschreitungen (hier im Bild) gibt es derzeit noch rund 3000 Ermittlungsverfahren, die die Soko „Schwarzer Block“ führt.
Wegen der G20-Ausschreitungen (hier im Bild) gibt es derzeit noch rund 3000 Ermittlungsverfahren, die die Soko „Schwarzer Block“ führt. (c) REUTERS (Fabrizio Bensch)
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Geplünderte Geschäfte, brennende Autos: Das linke Schanzenviertel war das Zentrum der G20-Gewaltnächte. Fünf Monate ist das nun her. Und jetzt? Ein Besuch.

Hamburg. Die Fassade ist mit Graffitis und Flyern übersät. Die grauen Rolltore sind heruntergelassen. Das Gebäude war einmal eine Sparkassen-Filiale. Jetzt ist es ein Mahnmal. Es kündet von den G20-Gewaltnächten, als hier alles außer Kontrolle geriet, als hier Feuer gelegt – und Geschäfte geplündert wurden. Ein paar Schritte weiter ist ein verlassener, weil ramponierter Rewe-Supermarkt. „Wir sind bald wieder für sie da“, steht auf der beschmierten Eingangstür. Und ein bisschen die Straße hinauf durchziehen tiefe Risse die Auslagenscheibe eines kleinen Kleiderladens. Da und dort deutet sie sich noch an,  die Spur der Verwüstung, die militante G20-Gegner hier Anfang Juli in der Straße Schulterblatt im linken Hamburger Schanzenviertel gezogen haben.

„Ist halt die Schanze“

Ein Vater schiebt seinen Kinderwagen vorbei. „Ist halt die Schanze“, sagt der 44-Jährige achselzuckend. Wer hierher ziehe, wisse doch, dass es „ab und zu krache“. Er selbst parke dann das Auto weit weg am Stadtrand und fahre mit seiner Frau und den drei Kindern aufs Land. Der ganze Groll des Tischlers richtet sich gegen die Polizei: „Die haben damals die Schanze geopfert.“ Drei Stunden lang hätte man nur zugesehen, während der Mob wütete, behauptet er. „Aber die hohen Gäste, die Trumps, Putins, Merkels hat man beschützt.“

Fünf Monate danach sind die Ermittler erschöpft. Am Limit. Gestern gibt es wieder eine bundesweite Razzia. Diesmal im Zusammenhang mit den G20-Ausschreitungen ein paar Kilometer weiter, in Hamburg-Rodenbarg. Sie konfiszieren Laptops, Handys. Die Polizei ist ziemlich sicher, dass die Krawalle von langer Hand geplant waren. Von „Arbeitstreffen“ ist die Rede, auch von geheimen Depots, die militante Linke in Hamburg vor dem Gipfel anlegten.

Die Aufarbeitung der G20-Krawallnächte ist eine Mammutaufgabe, wie Zahlen belegen: 3000 Ermittlungsverfahren führt die Soko „Schwarzer Block“. Tendenz steigend. Elf G20-Straftäter sitzen in U-Haft, 24 wurden verurteilt, fünf davon zu unbedingten Haftstrafen. Das missfällt einigen G20-Gegnern in der Schanze. In meterhohen Lettern haben sie auf Hauswände die immer gleiche Botschaft gesprüht: „Alle Gefangenen freilassen“, „Until all are free“.

Im Rathaus an der Alster tagt seit Wochen ein Sonderausschuss zum G20-Fiasko. Hamburgs regierender Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) war schon zu Gast. Eine Sicherheitsgarantie hatte er vor dem Gipfel abgegeben. Nun sagte er kleinlaut, er wäre zurückgetreten, hätte es Tote gegeben. Stattdessen gibt es Wut. Ein Fahndungsplakat hängt auf einem Haus am Schulterblatt: „Wanted: Zechpreller“. Es zeigt Scholz und Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Gewerbetreibende haben es angebracht. Sie drängen seit Monaten vergeblich auf Entschädigung – nicht, weil ihre Läden kaputtgingen, sondern wegen Einnahmeausfällen in den G20-Gipfeltagen.

Das Gebäude mit den in Regenbogenfarben bemalten Säulen war einmal ein Theater. Seit knapp drei Jahrzehnten schlägt hinter der heruntergekommenen Fassade das Herz der linksautonomen Szene. Es ist das Zentrum „rote Flora“, das während des G20-Gipfels die Demonstration „Welcome to hell“ organisierte. Ihren Gegnern, etwa der Stadt-CDU, gilt die die rote Flora als „Keimzelle des Linksextremismus“, zumal sich die Hausbesetzer nicht prinzipiell von Gewalt distanzieren. Oder ist es doch nur ein kultiges Zentrum, das zur Schanze gehöre, das „akzeptiert“ sei? Man hört das hier oft.

„Stinkig auf die Polizeiführung“

Der Besitzer von Brunos Käseladen sieht das auch so. Seit 30 Jahren hat er sein kleines Geschäft auf der anderen Straßenseite. Man kennt sich. „Die kaufen auch bei mir ein“, sagt der 68-Jährige über die linken Hausbesetzer. „Wir leben hier richtig gut zusammen.“ Doch diesmal, während des G20-Eklats, wurde auch seine Auslagenscheibe beschädigt, nicht nur die der großen Handelsketten. Das waren die „Zombies“, sagt er. Er meint betrunkene, unpolitische Jugendliche, die sich spontan der Gewaltorgie anschlossen. Auf die Polizeiführung ist der Ladenbesitzer noch immer „stinkig“, wie er sagt. Ansonsten sei alles gut. Eher schon irritieren ihn die „Miethaie“. Die Schanze ist längst hip geworden. Die Preise ziehen an.

„Das hier war immer ein linkes Viertel. Als ich hierherkam, lebten in der Schanze Türken, Alte und Studenten“, sagt Sabine, 57 Jahre alt, Künstlerin. „Aber jetzt kommen die, die viel Kohle haben.“ Ihr Atelier habe sie wegen der Mieterhöhungen aufgeben müssen. Privat will sie nur noch weg. Nicht wegen der Randale. Sondern wegen der Touristen, die hier mit dem Cafè Latte in der Hand durch die Gassen schlendern.

Man hört hier allerlei über die G20-Gewaltnächte. Der Handyverkäufer erzählt, wie er sich vor dem wütenden Mob verbarrikadierte. Am Ende kam zwar keiner rein, aber auch keiner mehr raus. Die Randalierer hatten den Motor des Rollladens zerstört. Draußen hätte er ein babylonisches Gewirr aus Sprachen vernommen – polnisch, italienisch: „Das waren nicht die von der roten Flora.“ Deren Anwalt erklärte über die G20-Krawalle, er habe „Sympathien“ für solche Aktionen, aber „doch bitte nicht im eigenen Viertel“.

Vor der Bankfiliale, die 2019 wieder öffnen soll, hält eine Frau an. Die 68-jährige Therapeutin zeigt auf die „rote Flora“: „So lange die da sind, wird das hier immer ein Magnet für Linksextremisten sein.“ Die Gelassenheit vieler Anrainer irritiert sie: „Ich würde das Ding abreißen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2017)

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