TV-Beobachtungen

Als Kurz in Berlin Österreich, Strache und sich selbst erklärte

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Der österreichische Bundeskanzler stellte sich eine Stunde lang einem Interview im deutschen Fernsehen. Kurz ließ sich nicht aus der Reserve locken.

Berlin. Für einen Regierungschef aus Österreich stieß Sebastian Kurz auf ungewöhnlich ausgeprägtes Medieninteresse bei seinem Berlin-Besuch. Eine Stunde lang ließ sich der Bundeskanzler am Mittwochabend im deutschen Fernsehsender ARD interviewen. Sandra Maischberger fühlte ihrem Gast charmant, aber hart auf den Zahn. „Die zarteste Versuchung, seit es Populismus gibt“, nannte sie Kurz bei der Vorstellung. „Wunderknabe oder politischer Scharfmacher?“, lautete der Titel der Politshow. Und in diesem Spannungsfeld bewegte sich auch das Gespräch. Maischberger versuchte, das Phänomen Kurz zu ergründen, dessen Werdegang und politische Einstellungen zu durchleuchten, vor allem aber die Koalition mit den Blauen.

Kurz parierte oder wich aus. Er erklärte Österreich, die Nationalratswahl, die FPÖ – und sich selbst. Aus deutscher Innenpolitik hielt er sich tunlichst heraus. „Tut Ihnen Merkel leid?“, fragte ihn Maischberger angesichts der quälend langen Koalitionsverhandlungen in Berlin gleich zu Beginn. Kurz winkte nach einer ungläubigen Gegenfrage lächelnd ab. Nach vier Wochen im Amt habe er vor allem großen Respekt vor jemanden wie Merkel, die ihr Land seit mehr als zwölf Jahren führt. Und natürlich wünsche er sich, dass Deutschland bald wieder eine starke Regierung habe. Davon profitiere ganz Europa.

Auch die erste Fangfrage ließ Kurz abprallen. Ob es ein Fehler sei, die AfD aus einer Koalition auszuschließen, wollte Maischberger wissen. Kurz ging nicht darauf ein und merkt an, dass die FPÖ nicht eins zu eins mit der AfD zu vergleichen sei. Die Freiheitlichen seien bereit zu Regierungen. Dass hätten sie schon einmal im Bund gezeigt und zuletzt auch auf Landesebene. Für ihn habe es keine Koalitionsalternative gegeben. Die SPÖ habe eine Regierungsbeteiligung abgelehnt. Außerdem komme er nun dem Wunsch der Österreicher nach Veränderung nach.

„Haben Sie einen Studentenausweis?“

Nach einem kurzen Ausflug zu entspannteren Fragen zur Jugend ihres Gastes, („Haben Sie noch einen Studentenausweis?“), zur Häme bei dessen Anfängen als Staatssekretär und zum früher arbeitslosen Vater ließ die Interviewerin nicht locker. Eine Einspielung zeigte FPÖ-Chef H.C. Strache bei Dreifingergruß und in Uniform bei Wehrsportübung, dazu den Aufruf von Beate Klarsfeld zum Boykott einer Regierung mit „Erben des Nationalsozialismus an der Macht“.

Kurz ließ sich auch da nicht aus der Reserve locken. Die Darstellung Klarfelds sei nicht korrekt, sonst wäre er die Koalition mit der FPÖ nicht eingegangen. Es sei richtig, kritisch zu bleiben, aber genauso richtig sei es, „Menschen eine Chance zu geben, sich weiterzuentwickeln“. In den Koalitionsverhandlungen habe er den Eindruck gewonnen, dass Strache für Österreich und die Europäische Union arbeiten wolle. Einwände der jüdischen Gemeinde in Wien, die den Kontakt mit der FPÖ meidet, will Kurz entkräften. Es habe noch nie zuvor eine derart pro-israelische Regierung gegeben und noch nie ein Programm, das entschlossener gegen Antisemitismus auftrete. Jede Partei habe eine Vergangenheit, bei der FPÖ gebe es auch problematische Teile. Doch entscheidend sei, wie die Parteiführung mit Verfehlungen umgehe. Und da habe Strache zuletzt Flagge gezeigt.

Als dann der ehemalige Grünen-Chef, Jürgen Trittin, in den Ring stieg, um die Diskussion weiter anzuheizen, warf dieser das Thema auf, ob es ihm, Kurz, denn nicht auch lieber sei, dass Alexander van der Bellen und nicht Hofer Bundespräsident geworden sei. Doch der Kanzler wollte auch im Nachhinein keine Wahlempfehlung abgeben, wie er überhaupt allen Entweder-oder-Fragen auswich – auch jener, ob er eher Lust auf ein Treffen mit Donald Trump oder Wladimir Putin habe. Er wollte auch nicht klar darüber Auskunft geben, was er von Trump denke. „Der Diplomat in mir“, scherzte Kurz.

Zwei Millionen Zuschauer

Auf eine Debatte über Obergrenzen für Amtszeiten wollte sich Kurz nicht einlassen. „In Österreich hätten wir zuletzt vielleicht eher Untergrenzen gebraucht.“ 2023 sieht er sich noch in der Politik, auch wenn es nicht seine Absicht gewesen sei, Berufspolitiker zu werden. Der weite Weg ins ARD-Studio nach Adlershof im Osten Berlins zahlte sich für Kurz aus. Bei Maischberger schauen auch noch um 23 Uhr um die zwei Millionen Menschen zu. Die Sendung wurde früher aufgezeichnet. Kurz hatte noch einen anderen Medientermin, eine Einladung zu einem Abendessen beim Springer-Verlag: mit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, Managern und diversen Chefredakteuren.

>>> Kurz bei Maischberger.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2018)

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